Kunstsilo, Kristiansand/NO
Wahrscheinlich gibt es für die zeitgenössische Kunst, die mehr und mehr auf das Großformat zielt, keinen angemesseneren Ort, als ehemalige Fabrik- und Lagerhallenbauten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die bieten neben spektakulärer Raumdisposition auch die Möglichkeit, nichtdefinierte Flächen auszubilden, die den Kunstort zum transitorischen Erlebnis- und Bildungsort machen. Der Getreidesilo in Kristiansand ist solch ein Ort geworden.
Ganz im Süden Norwegens – von uns aus aber noch ziemlich nördlich – liegt die Küstenstadt Kristiansand. Die Stadt mit rund 100 000 Einwohnerinnen lebt noch heute vom Fischfang, von der Förderung von Offshore-Öl- und Gas, superreinem Silizium und immer noch dem Holzhandel. Dass die Stadt sich mehr und mehr dem Tourismus geöffnet hat, hat seine Ursachen im Rückgang der Industriearbeit sowie dem für norwegische Verhältnisse milden Klima. Der Naturhafen, durch die vorgelagerten Inseln bestens geschützt vor schlechtem Wetter, hat allerdings seine Umschlagkapazitäten eingebüßt. Heute ist hier vor allem noch der Fährterminal für Linienschifffahrt und Kreuzfahrtschiffe von Bedeutung.
Und wie immer, wenn Verkehrs- und Gewerbeflächen brach fallen, überlegen die Kommunen, was mit diesen meist 1A-Flächen machen? Privilegiertes Wohnen wurde bereits umgesetzt, auch das Kilden Performing Arts Center (DBZ 11 | 2012) von ALA Architects bietet schon länger Raum, den Hafen neu zu betrachten. Dazwischen stand bis vor ein paar Jahren ein Getreidesilo – der heutige Kunstsilo – dessen Historie kurz zu erzählen ist.
Erstes Getreidesilo von 1935
Schon in den frühen 1930er-Jahren kam Weizen aus den USA über den Atlantik nach Norwegen, der Hafen in Kristiansand war erste Lieferadresse. Allerdings fehlte für die Weiterverarbeitung durch Mühlen ein Speicherort. Die Mühlenbesitzer wollten eine Siloanlage, wie sie in den USA schon länger vorhanden waren. Man engagierte mit dem jungen Architekten Arne Korsmo einen Planer, der im Bau von Funktionsanlagen unterschiedlichster Art Erfahrung hatte. Der machte Pläne für die schließlich 15 je 38 m hohen Stahlbetonsilos, die von einem Transportturm und einem Lagerhaus flankiert waren. Relativ neu war der Einsatz von Gleitschalungen, die die Fertigung der Silos innerhalb weniger Wochen im Jahr 1935 erlaubte. Komplett fertiggestellt wurde die Anlage Ende des Jahres. 1939 wurde die Siloanlage um weitere 15 Silos ergänzt, 1956 das Lagergebäude am Kai erweitert, das nun die volle Silolänge hat, dabei jedoch nicht wie der erste Teil aus Holz, sondern aus Beton gebaut wurde.
Ab den 1980er-Jahren kam es, wie in vielen Ländern, zu einer zunehmenden Zentralisierung der Mühlen für die großen Produzenten. Viele der kleineren Mühlen wurden stillgelegt, schließlich, 2008 auch die in Kristiansand. Nach ersten Überlegungen, den Gewerbebau abzureißen, wurde die Anlage 2010 von der Stadt unter Denkmalschutz gestellt.
Tausche Kunst gegen Museum
2015 dann trat mit dem aus Kristiansand gebürtigen Nicolai Tangen ein Mäzen auf, der wie viele seiner Kollegen in vielen Städten vor ihm schon, seiner Geburtsstadt seine große und großartige Kunstsammlung norwegischer Kunst des 20. Jahrhunderts anbot, wenn die Stadt ihm dafür ein Museum spendiert. Und weil, wie eigentlich immer, der Wert der Sammlung den Preis für ein Museumsgebäude um ein Vielfaches übersteigt, rechnete Kristiansand nicht lange und stellte für den Anfang 50 Mio. Norwegische Kronen in Aussicht (=1,3 Mio. €). Es folgte ein international ausgelobter Realisierungswettbewerb, dem 101 Büros aus 17 Ländern ihre Entwürfe beisteuerten. Da war der Silo schon als Standort für den Museumsbau ausgemacht. Mestres Wåge Arquitectes und MX_SI architectural studio (jetzt Mestres Wåge Arquitectes, BAX und Mendoza Partida) gewannen (2017). Die Jury lobt den Entwurf wegen seiner „eleganten Balance zwischen dem Original und der räumlichen Bearbeitung in dessen Innerem“.
Kunstsilo im Silo – Eingriffe
Der Entwurf der Architekten zielte tatsächlich auf Erhalt und Neuinszenierung. Noch immer ist der ehemalige Getreidespeicher sofort zu erkennen, gleichzeitig sind – natürlich auch im Inneren – wesentliche und tiefgreifende Eingriffe unvermeidbar gewesen. Außen wurde der Silo um klar vom Bestand unterscheidbare, in der Formensprache dem Industriebau entlehnte Volumen erweitert. Im südlichen Teil sind die Silos jetzt bis auf den Boden hinunter freigelegt und in ihrer ganzen Höhe erlebbar. Sowohl das Lagergebäude auf der Hafenseite wie auch der nördlich platzierte Transportturm wurden aus Gründen der schlechten Substanz und der mangelhaften Aufnahmefähigkeit neuer Funktionen abgerissen und mit etwa gleichem Volumen und ähnlicher Anmutung wieder neu aufgebaut.
Das vormals geschlossene Volumen der Speicheranlage wurde im Erdgeschoss in Teilen über Fensterbänder geöffnet. Damit wird die neue Durchlässigkeit des ehemals geschlossenen Bauten-Ensembles sichtbar gemacht. Das Fensterband mit Blick auf das Meer stellt konkret eine Verbindung zwischen der neugeschaffenen Silohalle und dem Fußgängerweg im Hafen her. Die Öffnung der kompletten Nordfassade des zunächst abgerissenen und dann wiedererrichteten Transportturms mittels einer Glasfassade macht dieses Gebäudeteil zum „Leuchtturm“ (Architekten) der Stadt Kristiansand.
Herz des Kunstsilos ist die aus dem Silo-Ensemble herausgeschnittene, 21 m hohe, basilikaartige zentrale Halle, ein Raumluxus, den nicht einmal Frank Gehry in Bilbao hinbekommen hat. Wer aus dem – allerdings recht weiten – Außenraum das neue Kunsthaus betritt, wird den Kopf in den Nacken legen müssen. Und der Blick geht weiter hinauf, entlang der in Teilen geöffneten Silos am Rand durch die oben scheinbar schwebenden restlichen Teile der Zylinder bis zum Himmel hinauf. Denn drei der filigran gefertigten Betonröhren sind auf der obersten Ebene mit begehbarem Glas geschlossen, während die anderen ihre vorhandene Stahlbetonabschlussplatte behalten haben. In den Oberflächen des Originalbetons können die Besucher immer noch den Bestand erkennen, der nun ergänzt ist um die Spuren der Ertüchtigung, der Sägearbeiten und die Maserung geschliffener Oberflächen.
Dass aus dem Betonbestand wesentliche Teile herausgeschnitten werden konnten, ist zum einen den insgesamt zusammenhängenden, jedenfalls miteinander verbundenen Siloeinheiten zu verdanken. Dann musste natürlich konstruktiv ertüchtigt werden. Unter anderem wurden die Zylinder in den nun frei hängenden Enden mittels quer- und längseingeschobenen, nachspannbaren Betonbalken als Einheit stabilisiert. Deren nach außen geführte Schraubenden liegen auf den Außenwänden, über welche die Lasten abgetragen sind. Die Balkenköpfe mit den Schraubenköpfen sind noch sichtbar im 5. OG im Verwaltungstrakt. Dass die teils nur 10 cm dicken Silowände um 20 bis 25 cm Stahlbeton innen zu ertüchtigen waren, versteht sich von selbst bei der höheren wie zugleich gänzlich verschiedenen Belastung, die die Zylinder nun zu realisieren haben.
Die ins Zentrum geschnittene Halle wird von Erschließungs- und Funktionsflächen umgeben, so befinden sich im Erdgeschoss u. a. der obligatorische Museumsshop, ein Auditorium, das Café und Flächen für Wechselausstellungen. Diese Ebene wird über die beiden Haupteingänge an der Ost- und Westfassade erschlossen. Womit nicht nur Museumsbesucher eingeladen werden, sondern auch alle die, die sich hier zum Gespräch treffen wollen, die die Halle wie einen städtischen Platz nutzen in Kristiansands Hafen- und Kulturviertel.
Die Ausstellungsflächen selbst befinden sich oberhalb dieser (hoffentlich) trubeligen Stadtraumebene im 2. bis 4. Geschoss. Erschlossen werden diese über eine Art Foyer, das sich an die in einer der Silozylinder untergebrachten Wendeltreppe anschließt und von dem aus sich die Besucherinnen im Silo bewegen können. An sorgfältig ausgewählten Stellen öffnen Fens-ter den Blick nach draußen … falls das Spektakuläre innen mit der Landschaft außen einmal konkurrieren kann.
Die Ausstellungsräume im Ost- und Westflügel sind als schlichte Whiteboxes unterschiedlicher Größe ausgeführt. Ihre zurückhaltend funktionale Gestaltung unterstreicht den expressiven Charakter der zersägten Silobündel. Die Dachfläche des nachgebauten Westflügels im 5. OG ist als Skulpturengarten mit Blick auf Land und Meer konzipiert. Die Siloanlage selbst wird gekrönt von einem transparenten und flexiblen Veranstaltungsraum, der einen Panoramablick bietet und von dem aus über einige ausgewählte, von Glasböden verschlossene Silozylindern der Blick bis in die Silohalle reicht. Dass hier gewellte Glasscheiben an die Glasfront der Hamburger Elbphilharmonie-Plaza erinnern … davon gleich mehr.
Das Team
Da der Siegerentwurf eine Arbeit von drei Büros war, musste die Abstimmung zwischen den Teams sehr sorgfältig und im ständigen Ausstausch vollzogen werden. So wurde gleich zu Beginn entschieden, dass sich die Autorinnen des Wettbewerbssiegerprojekts regelmäßig treffen sollten, wichtige Entscheidungen sollten einstimmig getroffen werden. Neben den zwei bis drei Treffen wöchentlich wurde eine Ausführungsgruppe eingesetzt, die für die Entwicklung und prozessuale Anpassung der Zeichnungen und BIM-Modelle verantwortlich war. Mithilfe eines BIM-Servers konnten alle Beteiligten jederzeit und zeitgleich auf das BIM-Modell zugreifen. Damit konnte der Bauprozess flexibel gehalten werden, ohne dass es zu Unstimmigkeiten zwischen den Gewerken aber eben auch den Planern kommen konnte.
Fazit
Silos als schon ikonisches Bild moderner (Zweck)Architektur sind schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts in der internationalen Architekturwelt. Walter Gropius pries schon 1913 im Jahrbuch des Deutschen Werkbunds den Silo als Vorbild für die kommende Architektur. Es folgten ihm viele, meist im Rückgriff auf die vorhandende, allein fototechnisch veränderte, gleiche Vorlage, so bei Le Corbusier in dessen Vers une Architecture von 1923 mit zahlreichen weiteren Silo-Fotografien. Das fotografische Werk von Bernd und Hilla Becher nahm sich natürlich auch der Silos an.
Heute werden sie dann aus der Literatur und Kunst befreit und angefasst: in Düsseldorf beispielsweise (Ingenhoven Architects), in Duisburg (Herzog & de Meuron), in Kapstadt (Heatherwick Studio). Sie alle spielen mit der Addition von Räumen, spielen mit dem Aushöhlen und Durchdringen, den Sichtachsen, Oberflächen, Kreisen … Beim Zeitz MOCAA – Museum of Contemporary African Art in Kapstadt, ein Projekt, das die Spanier gut kennen und studiert haben, gehen Funktion und Ästhetik in eins, überwältigen vertikal sich streckende Raumvolumina und Panoramen auf Hafen und die See, stehen funktionale White Cubes einer Cathedral-Architektur zur Seite. Wie in Kristiansand.
Ist der Umbau, der in Teilen tatsächlich ganz anders ist, deshalb eine Kopie? Gestalterisch ganz sicher nicht, aber das Konzept ist vergleichbar. Nicht nur wurde hier ein denkmalgeschützter Bestand angemessen in die Zukunft geführt. Hier am Hafen hat man eine Architektur realisiert, die eben mehr ist als ein Ausstellungshaus. Als Teil einer – durchaus elitären – Gebiets-entwicklung markiert der Kunstsilo den Anspruch, es mit den nationalen Kunsteinrichtungen ebenso aufnehmen zu wollen wie mit den internationalen. Dass dabei die Architektur eine nicht unerhebliche Rolle spielt, ist dem Neubau anzusehen. Wer in der Sammlung norwegischer Kunst einen Munch beispielsweise sucht, sucht vergeblich. Wer einen Industriearchitekturgiganten mit Geschichte(n) hautnah erleben möchte, wird hier fündig.
Benedikt Kraft/DBZ
Baudaten
Objekt: Kunstsilo
Adresse: Sjølystveien 8, Kristiansand/NO
Bauherr: SKMU Sørlandets Kunstmuseum
Bauzeit: 2017-03.2024
Bruttogeschossfläche: ca. 10 300 m²
Projektkosten (netto): ca. 60,1 Mio. €
Wettbewerb: Offener, europaweiter Realisierungswettbewerb 2016, 1. Preis
Architektur: Mestres Wåge, BAX und Mendoza Partida
Team: Magnus Wåge, Maria Mestres, Mara Partida, Hector Mendoza, Boris Bezan
Mitarbeiter ARK: Erlend Aalmo Strønstad, Ona Marija Auskelyte, Ana Irisarri, Alejandro Álvarez, Marc Busquets, Oscar Espinosa, Fredrikke Frølich, Martin Hauge, Olga Bombac, Carlos Para, German Bosch, Damian Plouganou, Marc Sanchez, Juan Mier www.mestreswage.com, www.baxstudio.com, www.mendozapartida.com
Fachplaner
Innenarchitektur: Scenario
Landschaftsarchitektur: Henning Larsen
Lichtdesign: Henning Larsen
Tragwerksplanung: Degree of Freedom, Oslo, dofengineers.com. Rambøll, www.ramboll.com. Other Structures, www.otherstructures.com (Entwurfsphase)
Klima: BJ miljø, Kristiansand/NO, bjmiljo.no
Elektro: Rambøll
Bauunternehmer: Backe Sør, Kristiansand/NO,
backe.no
Consultants: ViaNova Kristiansand, Stærk & co, Multiconsult, Landmåler Sør, Cowi, Asplan Viak, Dagfin Skaar, Advansia, Nonspace, Aas-Jakobsen
Haustechnik
Ausstellungsräume: Kontrollierte Be- und Entlüftung, Temperatur- und Luftfeuchtereglung hinter der abgehängten Metalldecke. Sämtliche Räume komplett mit Sprinkler. Fußbodenheizung im EG
Beleuchtung Ausstellungsräume: Generelle Beleuchtung und Projektoren/Spots in der abgehängten Decke implementiert, ebenfalls in den Ausstellungsräumen das Audio/Video-Equipment. Große Licht- und Bildprojektoren in der Silohalle
Materialien / Hersteller
Ehemalige Lagerhausfassade: hinterlüftete Ziegelfassade vor Holzrahmenplattenkonstruktion. Ziegel: Wienerberger, Typ Tuohi mrt75 (285x85x75mm)
Silofassade: Gleitschalung, mehrere Putzschichten (Multipor, Xella) auf Carbongewebe (STO)
Alufassade: Hinterlüftete, eloxierte Aluminiumfassade auf Holzrahmenplattenkonstruktion. Die Kassetten wurden eigens von Architekten und dem Fassadenbauer Petal entwickelt (verdeckte Befestigung)
Glasfassade außen/innen: Glas von Rubicon mit Schüco-Profilen. Profile außen: schwarz eloxiert, innen Aluminium natur
Holzböden: Massives Eichenparkett, mit Hartwachs, 22 mm
Innenleichtbau: Gipskarton von Norgips
Decken im Ausstellungsbereich: Streckmetall mit Aluminiumprofilen von Dorlum. Decke im Veranstaltungsraum Dach von Troldeck acoustic
Beleuchtung Ausstellung: Erco, sonst Zumtobel