Lovecraft: ein Versuch innerstädtischen Überlebens in München
Das Kaufhaus Galeria Kaufhof am Stachus musste, wie viele seiner Geschwister der Warenhauskette mit bald 150-jähriger Geschichte, im Herbst letzten Jahres schließen. Damit standen gut 25 000 m² Verkaufsfläche auf sieben Geschossen nutzlos in bester Lage herum. Was nun damit machen? Eigentümerin – die Familie Zechbauer – und Stadt – hier federführend das Referat für Arbeit und Wirtschaft (RAW), Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft – hatten sich mit der in Sachen kultureller Zwischennutzung erfahrenen Lissie Kieser, mit Michi Kern und Gregor Wöltje (alle drei „This Is Really Happening“) zusammengetan, um für das Kaufhaus in Bestlage eine angemessene Zwischennutzung zu finden. Der Bau selbst stammt von Theo Papst, der das Kaufhaus 1950/51 als erstes nach dem Krieg
1939–45 in München realisierte.
Die Initiatoren konnten sich schnell auf einen Namen für das Projekt einigen. Es steht seit September als „Lovecraft“ den Münchner Bürgerinnen zur Verfügung, aller Voraussicht nach für gut zwei Jahre. Was danach geschehen soll, ist noch unklar. Wie auch die Gründe für die Zwischennutzung, die letztere häufig in Abriss mündete, nach dem Verkauf des Grundstücks.
Aber davon ist noch keine Rede, zunächst wurde umgebaut. Eigentlich eher ausgeräumt und Platz geschaffen für tatsächlich provisorisch anmutende Einbauten. Was sicherlich sowohl der ungewissen Zukunft, aber auch dem – daraus resulierenden – kleinen Budget zu verdanken ist. Ca. 300 000 € stellten Stadt und Eigentümerin zur Verfügung, weiteres Kapital soll über Kooperationen, Mieten etc. eingespielt werden.
Handwerk der Liebe
Die Einbauten konzentrieren sich im Wesentlichen auf den Empfangsbereich im EG sowie auf die innere Erschließung, also die Rolltreppenanlage. Die heißt, wie das meiste im „Lovecraft“ (von den Beteiligten als „Handwerk der Liebe“ frei übersetzt) sprachlich gemakelt „Center Piece“. Und wurde, leider außer Betrieb gesetzt, nun komplett umgestaltet (Planerin: MINI, das ist die Künstleragentur Meiré und Meiré). Jetzt geht es über satt bunte Holztreppen, durch enge Röhrenrutschen und gestaffelte Sitzpodeste auf- beziehungsweise abwärts. Das „Center Piece“ gilt den Macherinnen als „architektonische Intervention, die die Treppenanlage in eine begehbare Skulptur verwandelt und die Stockwerke mittels Color Blocking miteinander verbindet“. Color Blocking!
Was finden wir im „Creative Social Hub“ und „Cultural Warehouse“, alias leergeräumte Galeria, in den kommenden Monaten? Räume für die Projektpartner, so für die Günther Rid Stiftung für den bayerischen Einzelhandel oder das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS. Auch die renommierte Sammlung Goetz ist mit dabei, das Mucbook Clubhaus, ein kommerzieller Anbieter von Arbeitsflächen aller Arten und Sorten, sowie die Community Kitchen, ein Projekt von Lebensmittelrettern, die hier ein Tagescafé betreiben werden.
Alles das und manches mehr – so jede Menge Indoor-Fußballplätze, eine Rollschuhbahn oder eine Ping-Pong-Area, ein Skate-Landscape ist angedacht – sollen einen neuen multifunktionalen „Begegnungs- und Kulturraum“ entwickeln, der es Kreativen wie Einzelhändlerinnen sowie der Stadt und ihren Akteuren ermöglicht, Innenstädte neu zu denken. Denn in dieser Hinsicht versteht sich „Lovecraft“ von vorneherein: Hier soll, gleichsam unter Aufsicht, ausprobiert werden, was im Herzen einer Stadt an kommerziellen wie kommerzfreien Aktivitäten möglich ist. Ob das Ergebnis überrascht und vielleicht tatsächlich ausreichend Erkenntnisse liefert, um „eine urbane Transformation einzuleiten“, ist eher zweifelhaft. Die Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, dass Projekte dieser Art dem Nachfragedruck auf Dauer nicht standhalten.
Ideen sowie Konzepte ausprobieren
Es sei denn, die Stadt selbst kümmert sich, steuert und macht das, was sie eigentlich schon immer machen sollte: in langfristige Entwicklung investieren, für die Bürgerinnen Stadtraum planen, organisieren, gestalten. Denn die Lage des Hauses am Stachus, dem Startpunkt in die Konsumkammer des Herzens von München, könnte dem „Lovecraft“ zu viel aufbürden und die Zwischennutzung als eben solche enden lassen. Wohnen am Stachus? Büros? Shopping? Kultur? Mit dem soliden Bestand Nutzungen auszuprobieren ist löblich, ihn in die Zukunft zu führen anspruchsvoll. Aber hatte nicht auch der Münchner Stadtrat 2019 den Klimanotstand ausgerufen und sich dahingehend verständigt, die Stadt solle „schon“ bis 2035 klimaneutral werden (bis dahin war 2050 das Ziel)? Für das Erreichen der Klimaziele haben wir keinen Zeitspielraum mehr, für das Ausprobieren neuer Konzepte zur Wiederbelebung unserer Stadtherzen allerdings schon. Wenn wir langfristig und auf alles schauen!
Benedikt Kraft / DBZ