Nicht einregulierte Lüftungsanlage ist nicht abnahmereif!
LG Ellwangen, Urteil vom 31.03.2023 – 6 O 121/22Bei Bauverträgen richtet sich die Bemessung der Umsatzsteuer in der Regel nach dem Zeitpunkt der Abnahme als Vollendungszeitpunkt der Werkleistung. Ohne die erforderliche Einregulierung einer Lüftungsanlage fehlt erkennbar deren Abnahmereife.
Der Sachverhalt:
Die Auftraggeberin, eine Betreiberin von Kliniken, beauftragte den Auftragnehmer, ein auf Lüftungs- und Klimatechnik spezialisiertes Unternehmen, mit der Sanierung eines Speisesaals und einer Küche. Die Parteien vereinbarten eine förmliche Abnahme nach § 12 Abs. 4 VOB/B. Am 06.11.2020 wurde der Speisesaal samt Lüftungsanlage von der Auftraggeberin in Betrieb genommen. Mit Schreiben vom 23.12.2020 zeigte der Architekt der Auftraggeberin diverse Mängel an, verlangte eine protokollierte Inbetriebnahme sowie Einregulierung der Anlage, setzte dem Auftragnehmer eine Nachfrist zur Mängelbeseitigung und erklärte die Verweigerung der Abnahme bis dahin. Mit Abnahmeniederschrift vom 01.03.2021 nahm die Auftraggeberin die Leistung des Auftragnehmers förmlich ab. Mit Schlussrechnung vom 29.03.2021 rechnete der Auftragnehmer den vereinbarten Gesamtbetrag plus 19 % Mehrwertsteuer ab, da die Werkleistung erst im Jahr 2021 förmlich abgenommen und damit fertiggestellt worden sei. Die Auftraggeberin war der Ansicht, dass der Auftragnehmer durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz vom 01.07 bis 31.12.2020 nur 16 % Mehrwertsteuer ansetzen dürfe, da das Werk bereits mit Inbetriebnahme am 06.11.2020 fertiggestellt worden sei. Der Auftragnehmer erhob Klage.
Die Entscheidung:
Mit Erfolg! Bei Bauverträgen richte sich die Bemessung der Umsatzsteuer in der Regel - wie auch hier - nach dem Zeitpunkt der Abnahme als Vollendungszeitpunkt der Werkleistung. Eine solche sei im zweiten Halbjahr 2020, auf welches die Senkung der Umsatzsteuer auf 16 % durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz befristet war, nicht erfolgt. In der knapp siebenwöchigen Nutzung der Lüftungsanlage ab dem 06.01.2020 könne unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falles keine konkludente Abnahme gesehen werden. Ohne die Einregulierung der Anlage habe der Auftragnehmer nicht nach Treu und Glauben davon ausgehen dürfen, dass die Auftraggeberin die erbrachte Leistung als „im Wesentlichen vertragsgemäß“ billige. Dies deshalb, weil die Einregulierung jedenfalls bei komplexen Anlagen überragende Wichtigkeit für deren optimale Leistung, Haltbarkeit und Sicherheit habe, sodass ohne Einregulierung erkennbar die Abnahmereife fehle. Habe der Auftragnehmer - wie hier - ein Werk zu erstellen, dessen Tauglichkeit und Mangelfreiheit von der Auftraggeberin durch eine äußere Prüfung nicht oder nur schwer festzustellen sei, so lasse sich aus der Entgegennahme nicht ohne weiteres auf die Billigung des Werks schließen. Näher liege regelmäßig die Annahme, die Entgegennahme leite erst eine Probephase ein, an deren Ende die Abnahme stehe, wenn die Auftraggeberin das Werk nicht - wie hier - ablehne.
Praxishinweis:
In der Regel sollten Auftragnehmer ein großes Interesse an einer zügigen Abnahme ihrer Leistung haben. Denn die Folgen der Abnahme, wie beispielsweise Gefahrübergang, Übergang der Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Mängelfreiheit, sind für den Auftragnehmer weit überwiegend positiv. Unter Umständen kann dem Auftragnehmer aber auch an einem späteren Abnahmezeitpunkt gelegen sein. Neben der recht speziellen Konstellation im vorliegenden Fall, kann dies der Fall sein, wenn der Auftraggeber gegen den Vergütungsanspruch des Auftragnehmers die Einrede der Verjährung erhebt. Erst nachdem die Leistung des Auftragnehmers abgenommen wurde, wird die Vergütung fällig und die Verjährung beginnt, sodass eine spätere Abnahme auch einen späteren Verjährungsbeginn nach sich zieht.
Wenn die Parteien - wie hier - eine förmliche Abnahme gemäß § 12 Abs. 4 VOB/B vereinbaren, sind grundsätzlich alle anderen Abnahmeformen, wie beispielsweise die konkludente oder die fiktive Abnahme ausgeschlossen. Die Parteien können allerdings von der förmlichen Abnahme nachträglich, bewusst oder unbewusst, wieder Abstand nehmen, sodass die Abnahme dann auch wieder konkludent erklärt werden kann. Das Abstandnehmen selbst kann ausdrücklich, aber auch konkludent durch schlüssiges Verhalten erfolgen.
Die Auftraggeberin hätte im vorliegenden Fall auf eine förmliche Abnahme Ende 2020 hinwirken können, um noch in den Genuss der Umsatzsteuerreduktion von 19 % auf 16 % zu kommen. Die mit Schreiben vom 23.12.2020 geltend gemachten unwesentlichen Mängel der Werkleistung hätten gemäß § 640 Abs. 2 BGB vorbehalten werden können. Alternativ hätten die Parteien die Einrichtung der Lüftungsanlagen im Speisesaal als Teilleistung der Gesamtleistung vertraglich vereinbaren und im zweiten Halbjahr 2020 noch mit 16 % Umsatzsteuer nach Abnahme abrechen können.