Förmliche Abnahme einzelvertraglich vereinbart: Fiktive und konkludente Abnahme ausgeschlossen!

OLG München, Beschluss vom 08.03.2022 – 28 U 9184/21; BGH, Beschluss vom 05.10.2022 – VII ZR 83/22 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Mit der Vereinbarung einer förmlichen Abnahme gemäß § 12 Abs. 3 VOB/B ist die Abnahmefiktion des § 12 Abs. 5 VOB/B und die Abnahme durch schlüssiges Verhalten (konkludente Abnahme) ausgeschlossen.

Der Sachverhalt:

Auftraggeber (AG) und Auftragnehmer (AN) streiten über die Verpflichtung des AG, die vom AN gestellte Vertragserfüllungsbürgschaft herauszugeben. Der AG und der AN schlossen einen VOB/B-Bauvertrag und vereinbarten, dass der AN dem AG eine Vertragserfüllungsbürgschaft über 10 % des Auftragsvolumens stellt, die „sämtliche Ansprüche“ absichert. Nach dem vom AG gestellten Formularvertrag war die Bürgschaft herauszugeben, wenn u. a. das Bauvorhaben schlussabgenommen wurde. Die Abnahme hatte, so war es einzelvertraglich geregelt, förmlich zu erfolgen. Der AN sah darin eine unangemessene Benachteiligung und hielt die vorformulierte Abnahmeklausel AGB-rechtlich für unwirksam. Grundsätzlich hätte er damit auch recht gehabt, denn derjenige, der eine AGB dem anderen „stellt“ kann sich nicht auf die darin getroffenen Vereinbarungen berufen. Er erhob Klage auf Herausgabe der Bürgschaft.

Die Entscheidung:

Ohne Erfolg! Gemäß der vertraglichen Bestimmungen hätten die Parteien eine förmliche Abrede einzelvertraglich vereinbart und eine fiktive Abnahme nach § 12 Abs. 5 VOB/B sowie eine Abnahme durch Ingebrauchnahme ausdrücklich ausgeschlossen.

Aus diesem Passus werde deutlich, dass die Parteien eine förmliche Abnahme im Sinne von § 12 Abs. 4 VOB/B vereinbaren und andere Formen der Abnahme ausschließen wollten. Mit der Vereinbarung einer förmlichen Abnahme sei jedenfalls die Abnahmefiktion oder die konkludente Abnahme ausgeschlossen, da aus dem Willen der Vertragsparteien eindeutig hervorgehe, dass eine förmliche und damit auch gut belegbare Abnahme vorgesehen sein solle. Schon aus diesem Grund gehe das Argument des Auftragnehmers in der Gegenerklärung, eine Benachteiligung des Auftragnehmers ergebe sich dadurch, dass eine Abnahmefiktion offensichtlich nicht reiche, ins Leere. Das Gericht hat also im Wege einer klassischen Vertragsauslegung den Willen beider Parteien bei Vertragsschluss ermittelt.

Anders als bei der sogenannten Normalabnahme handle es sich bei der förmlichen Abnahme um eine - vereinbarte - empfangsbedürftige Willenserklärung. Eine berechtigte Verweigerung der Abnahme durch den Auftraggeber komme auch hier nur unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 3 VOB/B in Betracht. Eine Benachteiligung des Auftragnehmers sei insoweit nicht erkennbar.

Praxishinweis:

Bei der förmlichen Abnahme handelt es sich um eine - vereinbarte - empfangsbedürftige Willenserklärung. Eine berechtigte Verweigerung der Abnahme durch den Auftraggeber kommt nur wegen wesentlicher Mängel in Betracht. Der Auftragnehmer wird hierdurch nicht unangemessen benachteiligt.

Die Vereinbarung einer Vertragserfüllungsbürgschaft i.H.v. 10 %, die „sämtliche Ansprüche“ absichert, ist wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers nur dann unwirksam, wenn nicht sichergestellt ist, dass die Bürgschaft unmittelbar nach Abnahme zurückgegeben werden muss oder der Sicherungsumfang nach Abnahme in anderer Weise auf 5 % beschränkt ist. 

§ 640 Abs. 2 Satz 1 BGB fingiert die Abnahme. Danach gilt ein Werk als abgenommen, wenn der Unternehmer dem Besteller nach Fertigstellung des Werks eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der Besteller die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat. Weil die VOB/B keine mit § 640 Abs. 2 BGB vergleichbare und vorrangige Regelung enthält, findet diese Vorschrift auch im VOB/B-Vertrag Anwendung. Das wirksame außer Kraft setzen dieser Regelung mit Hilfe von allgemeinen Geschäftsbedingungen ist aufgrund des Leitbildcharakters der Vorschrift nicht möglich, wohl aber durch einzelvertragliche Vereinbarung. Hätte der AG also versucht, eine Abnahmefiktion durch AGB auszuschließen, wäre er gescheitert.

Autoren: Rechtsanwalt Axel Wunschel, Licencié en droit, Wirtschaftsmediator und Lehrbeauftragter der TU Darmstadt sowie Rechtsanwalt Tobias Leithold LL.M.  (Wollmann & Partner)


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