Revisionismus? Aber immer!

Es ist durchaus hilfreich, einen 2., einen revisionistischen Blick auf Geschichte und Geschichtsüberlieferung zu wagen und möglicherweise auch festgefügte Bilder zu ändern, zu revidieren. Allerdings ist der Begriff des „Revisionismus“ kein unschuldiger, neutraler oder eben gar positiver. Revisionisten sind die, die etwas umgekehren möchten, häufig auf der Reise in die Geschichte als ein idealisierter Augenblick zurück.

Nun ist das Revisionistische auch im Städtebaulichen zu spüren, genauer, in der Frage, wer die Stadt baut, sehr analog zu der Stimmung, dass das Unsichere dieser Zeit nach dem jahrzehntelangen Bequemen nach Geländern schreit, an denen entlang wir weiterhin aufrecht gehen können im Krisenhaften der unter Rechtfertigungsdruck geratenene Moderne.

In Potsdam – der Stadt des Revisionismus – kursieren Pläne, das von Steuben-Denkmal wieder an seinen alten Platz zu stellen, an den Landtag alias Stadtschloss. Der Ort hinter dem Film­museum sei „unwürdig“, so ein Nachfahr des Generals, Henning-Hubertus von Steuben.

Unterstützt wird er von „Mitteschön“, einer Bürgerwilleninitiative, die Potsdam „wieder zu einem erlebbaren und urbanen Ganzen“ gestaltet sehen möchte. Das Ganze wünscht sich dieser Bürgerwille auch bei der Garnisonkirche: „Der Turm [...] steht wieder“ liest man bei Mitteschön, „fehlt nur noch das Kirchenschiff.“ Dann wäre allerdings das direkt anliegende ehemalige und heute von Kulturschaffenden genutzte Rechenzentrum obsolet, dessen Anliegerschaft immerhin ein Bundespräsident als „spannungsreiche Koexistenz“ beschrieb, die das Potential habe, „die Stadt in der Auseinandersetzung mit ihren verschiedenen Vergangenheiten wieder zusammenführen.“ Und: „Ich wünsche mir, dass dieses Areal mit offenem Blick für unsere ganze Geschichte eine Zukunft im Dialog findet.“ (Frank-Walter Steinmeier beim Festakt zur Eröffnung des rekonstruierten Turms am 23. August 2024)

Diese, der Geschichte der Stadt zugewandte, versöhnliche Haltung kritisierten die Revisionisten als „übergriffig“. Stadtplanung sei hoheitliche Angelegenheit der Stadt. Stimmt, nur: Stadtgestaltung ist ein Prozess. Revision von Geschichte entspringt meist einer Haltung der kritisierten „Übergriffigkeit“, des Paternalen, und ist in keiner Weise eine auf Stadtbürgerinnen setzende, diskursive Entwicklungsplanung.

In Berlin fordert die 1991 gegründete Gesellschaft Historisches Berlin e. V. den Berliner Senat sowie die verantwortlichen Politiker und Verwaltungsstellen auf, „die Förderung des Projekts Flussbad sofort einzustellen und stattdessen die dringend notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung der historischen Mitte Berlins endlich umzusetzen.“ Diese Forderung ist nichts Neues, sie wird einmal wieder vorgetragen, vielleicht in der Hoffnung, dass unsichere Zeiten immer schon revisio­nisten Forderungen – hier der Historisierung des Städtebaus – den nötigen Rückenwind verleihen. Auch wünscht man sich die Rekonstruktion der Bauakademie oder die Rückkehr der Statuen der Generäle der Befreiungskriege vor die Neue Wache. Auf den Erweiterungsbau der Komischen Oper solle man verzichten, eine Forderung, die in das konservative Gesellschaftsbild der GHB und eben wohl auch in diese Zeit des Rückzugs auf überkommende Werte passt.

Wird Revisionismus dieser Art zum Zitat eines wohlgefälligen Ausschnitts aus Geschichte, muss man von Manipulation sprechen.

Nach dem immer willkommenen Revidieren gilt es, mit Erkenntnis weiterzuarbeiten. Geschichtsschreibung bildet nichtlineare Fortschreibungen ab und keine Stilleben von irgendwann einmal attraktiven Orten, die wir nur noch aus Museen oder dem Hörensagen nach kennen. Be. K.

www.ghb-online.de, www.flussbad-berlin.de

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