Schöne Neue Welt des Bauens: Tragwerke neu denken!
Heftpartner
Jan Mittelstädt (l.) ist promovierter Tragwerksplaner, Hochschuldozent und Co-Gründer von Schöne Neue Welt Ingenieure. Mit langjähriger Erfahrung entwickelt er innovative, klimaschonende Baukonzepte. Sein Fokus liegt auf dem materialübergreifenden Entwerfen und auf Lösungen, die Ressourcenschonung, Kreislauffähigkeit und Wirtschaftlichkeit im Bauen vereinen.
Florian Scheible (r.) ist Architekt und ebenfalls Co-Gründer von Schöne Neue Welt Ingenieure. Er fokussiert nachhaltiges Bauen in der Fassadenplanung und engagiert sich in der Architektenkammer Berlin sowie der Bundesarchitektenkammer für Digitalisierung und KI. Als Autor, Vortragender und Organisator setzt er sich für Kreislaufwirtschaft und Smart Cities ein.
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Foto: Benedikt Kraft
Lange sind wir Tragwerksplaner und -planerinnen der Maxime gefolgt, immer größere Spannweiten und ausgefallenere Formen zu ermöglichen und dem zu folgen, was sich traditionell bewährt hat. In Zeiten einer unerlässlichen Bauwende stellt sich nun die Frage: Welcher Maxime folgen wir heute?
Unsere Erkenntnisse aus der Arbeit an Neu-, Um- und Erweiterungsbauten sowie an Prototypen mit einem Anteil nachwachsender oder wiederverwendeter Baustoffe und Materialien zeigen, dass zukunftsfähiges, klimabewusstes Bauen nicht im Widerspruch zu großzügigen, innovativen Strukturen steht – im Gegenteil, sie eröffnen neue konstruktive und gestalterische Freiheiten.
Antreiben sollten uns ein hoher Anspruch an Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und die Reduktion verursachter Emissionen. Statt höher und weiter braucht es ein Umdenken zu anderen ehrgeizigen Zielen: zirkulärer, materialbewusster, widerstandsfähiger.
Dieses Heft stellt daher Projekte vor, die mit der gleichen Konsequenz entwickelt wurden wie klassische Hochleistungsstrukturen – jedoch mit dem Ziel, emissionsarme und ressourcenschonende Bauweisen zu etablieren.
Das Tragwerk als Stellschraube für zukunftsfähiges Bauen
Nachhaltigkeit entsteht nicht durch konventionelle Planung mit nachträglicher Optimierung. Es braucht einen grundlegenden und vorangestellten anderen Ansatz: Tragwerke als Ressourcensysteme zu denken.
Vier zentrale Fragen bestimmen diesen Paradigmenwechsel:
1. Muss überhaupt neu gebaut werden?
2. Können bestehende Bauteile und Strukturen weiterverwendet werden?
3. Wie können Primärstrukturen/Konstruktion konzipiert werden, dass sie robust sind, also u. a. trennbar und kreislauffähig?
4. Wie bauen wir heute schneller, seriell und dennoch im Sinne der Baukultur mit einem Variantenreichtum an gestalterischen und funktionalen Möglichkeiten?
Wir sind der Überzeugung, dass schon jetzt eine klimafreundliche und wirtschaftliche Bauwirtschaft möglich ist. Mittels der schon angesprochenen Robustheit des Tragwerks kann das gelingen. Dazu erforschen wir reversible Fügetechniken und kombinieren Materialien und Aufbauten gezielt so, dass sie im Rückbau zugänglich sind und getrennt werden können. Für die damit erreichte Materialverfügbarkeit gilt es, Prozesse zu etablieren, die die formellem Hürden und die gestalterisch funktionale Scheu vor einer Wieder- und Mehrfachnutzung reduzieren. Unsere Arbeit zeigt: Klimabewusste Konstruktionen sind wirtschaftlich machbar – wenn sie von Anfang an Teil des konzeptionellen Gesamtentwurfs sind und interdisziplinär entwickelt werden. Die Herausforderung besteht darin, diese Prinzipien in die Breite der Bauwirtschaft zu tragen.
- Planung als Prozessoptimierung
Normen und Richtlinien bewahren Bewährtes, sind aber selten Wegbereiter oder gar Impulsgeber für Innovation. Fortschritt entsteht dort, wo Wissen weitergedacht wird. Auch wirtschaftliche Rahmenbedingungen beeinflussen nachhaltige Konzepte. Solange konventionelle Alternativen günstiger erscheinen, geraten ressourcenschonende Lösungen ins Hintertreffen. Dabei gibt es mit Zertifizierungssystemen oder staatlicher Förderung ressourcenschonender Bauweisen längst geeignete Förderinstrumente.
Eine enge Verzahnung des Wissens aller Beteiligten von Anfang an ist essenziell und funktioniert dann, wenn partnerschaftlich und auf Augenhöhe agiert wird, im Sinne der Projekte und des Miteinanders.
- Transformation beginnt im eigenen Büro
Unsere Haltung zur Bauwende prägt nicht nur unsere Projekte, sondern auch unsere Arbeitsweise. Wir setzen auf New Work-Prinzipien mit flexiblen Rollen- und Kreisstrukturen, die die Eigenverantwortung fördern und den fachlichen Austausch verbessern sollen. Der zunehmende Einsatz von KI-Assistenzsystemen wird Planungsprozesse verändern. Diese Technologien können fundierte Entscheidungen unterstützen und Materialeinsparungen gezielt umsetzen. Doch sie werden nicht die Ingenieursleistung ersetzen – vielmehr erfordern sie ein tiefgehendes Verständnis für Konzeptfindungen und darin befindliche Abhängigkeiten.
- Neue Wege in der Tragwerksplanung
Die Bauwende ist eine tägliche Aufgabe, die ein radikales Umdenken erfordert. Wenn Tragwerksplanung Konventionelles hinterfragt, man integrativ denkt und sich mit Mut und Engagement den Herausforderungen stellt, dann entstehen nicht nur nachhaltigere, sondern auch wirtschaftlich tragfähige Bauprojekte.
Die Reise der Baubranche zu mehr Transformation nimmt weiter Fahrt auf. Der Gebäudetyp E unterstützt uns alle dabei, Transformationsprozesse auszuprobieren und breitflächig in der Praxis anzuwenden. Wir setzen uns für den Wandel ein und freuen uns auf den Diskurs mit allen, die diesen Weg in eine wirklich Schöne Neue Welt mitgestalten wollen.