Sind wir zu bequem geworden? Ja!

Wohlstandserhalt und Verzicht, geht das zusammen? Und ist der Verzicht tatsächlich das Ende der Bequemlichkeit, die wir alle uns wünschen, die längst aber nicht mehr zu bezahlen ist? Wie können wir, die am Bauen Beteiligten, Verantwortung übernehmen? Theoretisch jedenfalls in unserem persönlichen Engagement, das leider in der Praxis durch eine wachsende Bequemlichkeit ausgebremst erscheint. Wer oder was hindert uns? Passende Antworten muss wohl jeder selbst bei sich suchen. Die Strukturen, die dieses widersprüchliche Verhalten stützen, sollen hier kurz skizziert werden.

Aktuell ist eine Vielzahl von Bauaktivitäten zum Erliegen gekommen. Ambitionen zu Ressourcen- und Umweltschonung, Energiewende und Digitalisierung, Mobilitätswende und erforderliche Transformationsprozesse des Bestands, Verödung der Innenstädte sowie ein Stadt-Land-Gefälle beeinflussen das Bauwesen enorm. Trotz erheblicher Anstrengungen bleiben Erfolge und Wirkweisen durch Verschärfungen einzelner Maßnahmen, z. B. in der Energieeinsparung, aus. Die eingetretene Stagnation zeigt, dass ein „Weiter so“ nicht mehr möglich ist und grundlegende Veränderungen erforderlich sind. Strategisch kluge Reaktionen mit radikalen Änderungen, die auf diese Erkenntnis aufsetzen, bedürfen jedoch langwieriger Strategien und der Übernahme von Verantwortung in allen Bereichen. Dies betrifft die Auftraggeberseite, die Planung bis hinein in die Genehmigungsbehörden, die Umsetzung der Planung in eine prozessuale Realisierung und schließlich den Betrieb von Gebäuden.

In den aktuell geführten Diskussionen zeigt sich, dass Veränderungen und Konsequenzen weit über das Bauwesen hinausgedacht, umgesetzt und am Ende auch akzeptiert werden müssen. Die Bauwende ist eine gesamtgesellschaftliche Auf­gabenstellung. Diese notwendige horizontale Weitsicht auf ein immer noch viel zu eng angeschautes Problemfeld resultiert schlicht aus der zunehmend anwachsenden Komplexität der Prozesse, die das Bauen insgesamt nicht leistungsfähiger machen, sondern eher in einen Zustand manövrieren, der sich durch mangelhafte Umsetzbarkeit auszeichnet. Parallel zum ständig wachsenden Anforderungskatalog entwickelt sich auch in den Fachkreisen ein immer lauter werdender Ruf nach einem Paradigmenwechsel.

Die Auswirkungen steigender Anforderungen auf die Gebäude- und Stadtplanung – die auch und nicht zuletzt aus unserem Wohlstandsdenken resultieren – und die Optimierung einer theoretisch möglichen Maximierung der baulichen Qualität führen aber zu immer komplexeren Lösungen, die das Bauen zudem teuer werden lassen. Die theo­retischen Steigerungsmöglichkeiten in der Optimierung der Qualität des Gebauten wird dabei immer mit der Objektivität der Rechenmodelle und der Auswertung/Evaluation des Ergebnisses begründet. Dass dieses Aufblähen der Planungs- und Realsierungsaufgaben insbesondere auch den eine immer größere Rolle einnehmenden Haftungs- und Schuldfragen zu verdanken ist, gehört längst schon zum Allgemeinwissen. Gerade die Problematik der Haftung bei steigender Komplexität und die Überregulierung von Prozessen und deren technischer und konstruktiver Umsetzung wiegen schwer. Der sogenannte „schadenfreie Mangel“ – eine sehr deutsche Erfindung – schürt Misstrauen und eröffnet im Dschungel der Regularien viele Möglichkeiten.

Gegenmaßnahmen zur Übererfüllung und Absicherung treiben die Baukosten in die Höhe und minimieren die Robustheit und Nutzbarkeit der Gebäude. Das Ergebnis ist die Mehrung von Fehler­quellen in Relation zu steigender Komplexität, was wiederum zu erhöhten Sicherheitsmaßnahmen in der Planung jedes einzelnen Gewerks führt, die investiv und im Betrieb Kosten verursachen – ein Teufelskreis. So herrscht zwar zum einen großer Verdruss, wir sehen jedoch sich ausbreitende Lähmung und fürchten den Stillstand. Andererseits sind die Potentiale, etwas nachhaltig bewegen zu können, selten so groß wie heute.

Anforderungen und Ansprüche hinterfragen

Hier nun aber allein auf das Bauwesen zu schauen – dem mit Recht ein großer Hebel zugesprochen wird, in der Gesamtklimabetrachtung beispielsweise eine führende Rolle zu übernehmen –, wäre wohl nicht zielführend. Zwar stimmt die Einschätzung der Hebelwirkung, doch ohne das Hinterfragen von Anforderungen/Ansprüchen und ohne ein Umdenken in der Gesellschaft insgesamt und ihres Wertekanons wird es schwierig werden, Komplexitäten zu minimieren und die Realisierbarkeit (eines einfacheren Bauens) zu heben. Das Ablegen der vorherrschenden Meinung, dass Weglassen auch ein Verzicht auf Qualität ist, und dass Innovation und Fortschritt auf Technisierung beruhen müssen, ist Grundvoraussetzung für eine wirksame Veränderung.

Pilotprojekte der letzten Jahre, die sich freischwimmen von Auflagen und Normen, Initiativen wie der „Gebäudetyp E“, der ausgehend von ­Bayern mittlerweile über Deutschland hinaus diskutiert wird, zeigen, wie dringlich der Wunsch nach Vereinfachung auf Seiten der Bauschaffenden ist und wie qualitätsvoll die Umsetzung in der gebauten Umwelt sein kann. Doch hier sind wir offenbar noch immer auf dem Feld der Forschung. Eine zunehmende Wiederholung bereits schon länger realisierter Piloten des einfachen Bauens hat noch lange nicht und damit auch nicht messbar dazu geführt, dass sich die überkomplexen Standardbauten zugunsten ihrer einfacheren Varianten auf Dauer verabschieden.

Ein zentraler Aspekt hierfür ist neben den o. g. Stichworten von rechtssicherer Qualität und hohen Komfortansprüchen die Frage der Verantwortung. Diese, und das wird hier gleich skizziert, wird in unserer Gesellschaft zunehmend von einem Trend zur Bequemlichkeit überschattet. Das zeigt sich beispielhaft in den Diskussionen um die sogenannte „nutzerunabhängige Performance“, die aus sich heraus bereits sinnfrei ist, jedoch eine wesentliche Grundlage in der Abwägung von Low- vs. High-Tech, Suffizienz vs. Effizienz darstellt. Während wir alle eigentlich ­zunehmend bereit sein müssten, mehr Verantwortung für das Gemeinwohl zu übernehmen, sinkt die Verantwortungsbereitschaft bei gleichzeitig wachsendem Rückzug auf das Private und – ganz konkret – steigendendem Anspruch an zumindest gleichbleibend hohem Komfort. Theo­retisches Engagement, praktische Bequemlichkeit – ein deutlicher Widerspruch.

Die Auswirkungen der mangelhaften Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für mehr als sich selbst zeigt sich u. a. auch in der Haltung der Bauherrschaft zu den Planenden, die diese weniger als Treuhänder ihrer Sache, sondern deren Arbeit mehr und mehr als reine Dienstleistung betrachten.

Längst geht es vor allem um die Frage „Was wird geschuldet?“, eingerahmt von ambitionierten Zeitplänen und Kostenrahmen, die oft zu immer länger werdenden Wunschzetteln führen, die am Ende nicht mehr umsetzbar sind. Andererseits gibt es die ungünstige Verknüpfung zwischen steigender Komplexität in den Bauprozessen und, damit verbunden, steigenden Kosten. Denn solange Honorare und Investitionen miteinander linear verknüpft sind und die Übernahme von Verantwortung einen Mehraufwand und ein Risiko darstellen, fehlen in der Planung Anreize zur Reduktion, die häufig als „Verzicht“ kolportiert wird.

Gesellschaftlich bedarf es an dieser Stelle ebenfalls eines Umdenkens. Weglassen ist mit Entbehren und Qualitätsverlust konnotiert. Der Begriff Qualität wird oft mit messbaren Größen und einer Mengenangabe gleichgesetzt, wie z. B. max. Energieeffizienz bei max. Komfort, max. Flächen statt Räume und „Neu“ ist besser als „Alt“. Die Reduzierung auf messbare Größen passt zur bequemen Gesellschaft, die Schnürschuhe mit Reißverschlüssen kauft, ein „easy entry“ auch ohne altersbedingte oder medizinische Notwendigkeiten.

Wir sind eine Gesellschaft, die eine natürlich gelüftete Schule als inakzeptabel bewertet und funktionierende Gebäude abreißt, weil der „Markt“ diese nicht mehr nachfragt, die festhält an in der Vergangenheit deklarierten Bauleitplanungen statt die Umnutzung leerstehender Gewerbeimmobilien in Wohnen zu ermöglichen. An Handlungsbedarf und essenziellen Fragestellungen mangelt es nicht. Instinkt und Mut sind gewichen und wurden eingetauscht in Bequemlichkeit und Verantwortungslosigkeit. Instinkt und Mut sind jedoch notwendiger denn je, um das Wesentliche zu erkennen und gesamtgesellschaftlich das Einfache als eine wesentliche Qualität zu sehen und zu akzeptieren. Ohne diese Haltung wird das Bauwesen an der Vielzahl der Möglichkeiten ersticken und an theoretisch messbaren, effizienten, vollautomatisierten Qualitäten scheitern, vor der Kulisse der eigenen, der ungebauten Träume.

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