Über- und Einblick

„Exzessiver Materialeinsatz und Konstruktionsaufwand oder dekorative Formeingriffe sind eher selten anzutreffen, genauso wie futuristische Experimente und Innovationsversuche zur Veränderung von Gewohnheiten im Gebrauchsverhalten.“ Exakter hätte man es nicht formulieren können, als es einer der beiden Essayisten zu Anfang des hier vorgestellten Möbellexikons schreibt. Die Schweiz und ihre Industrieprodukte „Möbel“ sind eben genau das: formschöne, Form-idealen folgende Variationen der Urform Stuhl, Schrank, Bett etc.

Das Lexikon mit aktuell 390 dokumentierten Objekten erschien 2005 erstmals und liegt nun in der 4. Auflage vor. Die überarbeitete und erweiterte Neuausgabe verzeichnet chronologisch sortiert Stühle, Liegen, Beistelltische, kurz, viele der Möbel, die seit 1920 entstanden und auf den Markt gekommen sind; mit Bild, kurzem Text und ein paar Daten zu Größe und Hersteller. Sind die Möbel noch lieferbar, führt ein QR-Code auf die Herstellerseite im Internet.

Die Neuausgabe wird erstmals ergänzt durch einen 2. Band („Neue Schweizer Möbel – Aktuelle Positionen“). Hier werden 24 junge Designerinnen auf je zwei Doppelseiten mit unterschiedlichen Ansätzen und Entwurfsergebnissen präsentiert. Nach welchen Kriterien der Nachwuchs ausgewählt wurde, bleibt leider im Dunkeln; vielleicht ist die Schweizer Designszene aber einfach auch überschaubar? In jedem Fall zeigen die Arbeiten dieser Generation, dass auch die Schweiz sich der Welt geöffnet hat, „ihre Arbeiten zeigen eine Abkehr vom spartanischen Design der Vergangenheit“, so im Vorwort.

Damit haben wir nicht bloß eine wertvolle Sammlung von Referenzen auf Originale und eine großartige Inspirationsquelle für weitere Varianten im Möbeluniversum. Wir erleben in der Chronologie des Lexikons und der Erweiterung des Horizonts durch die Präsentation des (teils schon arrivierten) Nachwuchses eine ganz eigene Kulturreise durch das Schweizerische. Was immer das sein mag, exzessiv ist es nicht, spartanisch aber auch nicht, eher Ausdruck einer calvinistisch grundierten Haltung, die – wie schon gesagt – heute immer mehr auch ein Augenzwinkern zulässt. Aufbruch im wahrscheinlich innovativst konservativen Land der Welt. Be. K.

Schweizer Möbellexikon. Hrsg, v. Stefan Zwicky, NR Neue Räume AG. Scheidegger & Spiess, Zürich 2024, 2 Bd.: Band 1: Schweizer Möbeldesign seit 1920. Band 2: Neue Schweizer Möbel – Aktuelle Positionen, insges. 396 S., 1364 Farb. u. 52 sw-Abb. 62 €,
ISBN 978-3-03942-219-7
x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 10/2010

Farbaluminium für eine futuristische Architektur Sparkasse Middelfart/DK

Mit dem Bau der Sparkasse Middelfart haben die Architekten von 3XN ein in Funktion, Material und Design perfekt abgestimmtes Kon­zept zukunftsweisender Architektur erfolgreich realisiert. Das Projekt...

mehr
Uni Kassel

rethinking:wood – Vom Holzspan zur Form

Wie kann eure Innovation das Bauwesen nachhaltig verändern? Betrachtet man die Rohstoff- bzw. Abfallentwicklung in Deutschland, fallen neuerdings auf Materialebene mehrere Millionen Tonnen...

mehr
Ausgabe 04/2013

Sphärische Leuchten

Artemide präsentiert die von Ross Lovegrove entworfene Wandleuchte Cosmic Angel Parete und die Deckenleuchte Cosmic Angel Soffitto. Die Wandleuchte Cosmic Angel Parete gleicht einer gekräuselten...

mehr
Ausgabe 04/2009 Boutique M. Sandberg, Wien/A

Ein Plädoyer für Farbe und Form Boutique M. Sandberg, Wien/A

Wer die Wiener Innenstadt rund um den Lug-­eck nach einem Seelentröster für das von der Wirtschaftkrise gestresste Gemüt durch­-kämmt, wird höchstwahrscheinlich am Schau-­fenster des...

mehr
Ausgabe 02/2019

Popstars des Internationalen

Es gab genau 10 Hefte, genauer gesagt „Architekturtelegramme“ der britischen Architektengruppe Archigram, die zwischen 1961 und 1972 in London erschienen waren. Und die damals bis heute noch ihre...

mehr