Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser?
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 22.11.2019 - 15 U 73/19, Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof zurückgenommen, Beschluss vom 29.06.2022 - VII ZR 286/19.
In einigen Fällen reicht auch ein gesundes Vertrauen aus, meint das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe. Es schützt zwar nicht vor dem Schadenseintritt, das könne die Kontrolle besser, aber es reicht, um sich selbst von der Haftung zu befreien. Im folgenden Fall ging es um die Frage, wann der Architekt (Objektplaner) die Ergebnisse des Tragwerkplaners konkret hinterfragen muss.
Ein Bauherr beauftragte einen Architekten mit der Objekt- und der Tragwerksplanung. Der Architekt beauftragt einen Subplaner mit der Tragwerksplanung. Nachdem sich aufgrund zu dünner Wände die Tragwerksplanung als erheblich mangelhaft herausgestellt hat, verklagte der Bauherr die Versicherung des Architekten. Diese nahm wiederum den Subplaner in Regress. Der Subplaner wendete gegen einen vollständigen Regress ein Mitverschulden des Architekten ein. Dieser habe die von ihm erstellte Tragwerksplanung nicht überprüft.
Das OLG Karlsruhe hat dem Ansinnen des Tragwerkplaners eine klare Absage erteilt. Ein Mitverschulden des Architekten scheide aus. Er habe keine eigene Pflicht bei der Übernahme der Ergebnisse der Tragwerksplanung verletzt. Der Architekt dürfe auf die Richtigkeit der Berechnungen des Tragwerksplaners vertrauen, da dieser über besondere Fachkenntnisse verfüge. Dies gelte jedenfalls, sofern kein erkennbarer Anlass für eine Überprüfung bestehe. Der Architekt ist im Rahmen seiner Koordinierungspflicht lediglich dazu angehalten, die Berechnungen einzusehen und sich zu vergewissern, ob der Tragwerksplaner von den tatsächlich gegebenen Verhältnissen ausgegangen ist oder sich hier ggf. Widersprüche oder Fehler ohne vertiefte Fachkenntnisse erkennen lassen (Plausibilitätsprüfung). Insoweit ist die Entscheidung des OLG Karlsruhe gefestigte Rechtsprechung. Die Frage, bis wann sich der Architekt auf die Ergebnisse der Sonderfachleute verlassen kann oder ein Plausibilitätsprüfung Anlass zur Nachfrage oder Kontrolle geben muss, sind immer an den Gegebenheiten im Einzelfall zu prüfen und lassen sich pauschal nicht beantworten. Auch die Beweisführung für den Architekten oder den Sonderfachmann ist in solchen Fällen mitunter schwierig.
Offen gelassen hat das OLG Karlsruhe die Frage, ob der Subplaner sich überhaupt auf ein Mitverschulden seines Auftraggebers aus dem Grundsatz von Treu und Glauben berufen kann. Immerhin hat der Subplaner seine Arbeitsergebnisse im Vertragsverhältnis zu seinem Auftraggeber stets allein zu verantworten. Der Grundsatz von Treu und Glauben helfe im direkten Verhältnis zwischen Subplaner als Auftragnehmer und Architekten als Auftraggeber aber nach Auffassung des OLG Karlsruhe nicht bzw. ist die Annahme einer solchen Entlastung zweifelhaft, da der Auftraggeber sich grundsätzlich darauf verlassen können muss, dass sein Vertragspartner seine vertraglichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Anders stellt sich dies in der Konstellation dar, wenn der Bauherr den Architekten und den Tragwerksplaner einzeln beauftragt hätte. Da aber schon keine Pflichtverletzung des Architekten erkennbar war, musste die Frage nicht durch das OLG Karlsruhe beantwortet werden.
Soll man ein Fazit aus diesem Fall ziehen, dann Folgendes: Das Vertrauen hat den Architekten zwar „gerettet“. Seiner tiefergehenden Kontrolle hatte es nicht bedurft. Im Verhältnis zum Bauherrn aber, der ja den Schaden hatte und auf Schadensersatz klagen musste, wäre eine tiefgehende Kontrolle seinerzeit besser gewesen. Womit es beim alten Sprichwort verbleibt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!