„Wenn Bauen und Kunst verschmelzen, kann man von Architektur reden.“ Arno Lederer 1947–2023

„Manchmal könnte ich vor Wut mit der Faust auf den Tisch schlagen!“ ­– Er hat es wohl nicht gemacht, der Arno Lederer, der immer freundlich, verbindlich und doch so bestimmt in allem war. Kompromisslos? Nun ist der gebürtige Stuttgarter am
23. Januar 2023 überraschend verstorben. Er wird fehlen – uns auch.

1985 hatte Arno Lederer mit Jórunn Ragnarsdóttir ein Architekturbüro aufgemacht, das ab 1992 mit dem dritten Partner Marc Oei Lederer Ragnarsdóttir Oei hieß oder kurz und knapp „LRO“. Die drei Buchstaben waren und sind noch eine Marke, auch wenn sich Jórunn Ragnarsdóttir mit Mann und Sohn nach Berlin aufgemacht hatte, Anfang 2021 war das, um es noch einmal zu probieren: „Wieder näher am Bauherrn sein mit kleineren Projekten, die wir von Anfang bis Ende kontrollieren können“, das, so Arno Lederer mir gegenüber, war der Grund. Und eine Müdigkeit dem Architekturgeschäft gegenüber, das sich immer schneller dreht und „so viel bleibt da auf der Strecke!“ (Arno Lederer).

Geboren 1947 in Stuttgart, 1968 bis 1976 Architekturstudium an der Universität ebendort und an der TU Wien, machte Arno Lederer 1976 Diplom in Stuttgart. In den folgenden Jahren Mitarbeit im Büro Ernst Gisel in Zürich, dann bei Berger Hauser Oed in Tübingen. 1979 Gründung Büro Lederer und Sambeth, seit 1982 Inhaber Büro Lederer und ab 1985 Bürogemeinschaft mit Jórunn Ragnarsdóttir (Lederer Ragnarsdóttir).

Von 1985 bis 1990 hatte er eine Professur für Konstruieren und Entwerfen an der Hochschule für Technik Stuttgart, war von 1990 bis 1997 Professor für Baukonstruktion und Entwerfen I an der Universität Karlsruhe. Seit 1992 Bürogemeinschaft mit Marc Oei (Lederer Ragnarsdóttir Oei LRO). 1997 bis 2005 Professor für Gebäudelehre an der Uni Karlsruhe, 2002 bis 2006 Wissenschaftlicher Beirat im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung in Berlin, 2003 bis 2012 Hochschulrat der Hochschule für Technik Stuttgart, 2005 bis 2014 Professor für Öffentliche Bauten und Entwerfen an der Universität Stuttgart, seit 2009 Gestaltungsbeirat für das Dom-Römer-Areal in Frankfurt am Main. Seit 2012 war er Geschäftsführender Gesellschafter Lederer Ragnarsdóttir Oei, seit 2014 Mitglied im Bayerischen Landesbaukunstausschuss. Mitglied im Baukollegium Zürich von 2014 bis 2018, seit 2021 Gesellschafter im Büro LRO und Partner im Büro Lederer Ragnarsdóttir in Berlin.

Gibt dieser Vita-Überflug ein Bild von dem Menschen, der am 21. Januar 2023 in seiner Geburtstadt verstarb? Ja und nein. Ja, weil hier angedeutet ist, wie einflussreich der Architekt gewesen sein muss, und wir wissen, wie einflussreich er war. Nein, weil diese Daten den Arno Lederer auf seine erste Profession reduzieren, Daten, die allenfalls andeuten können, was ihn umgetrieben hat und wofür er stand. Die DBZ hat ihn oft eingeladen zu Jurys, Vorträgen, auf Podien und zu Laudationen; und immer waren alle gespannt darauf, was denn der Lederer heute wieder allen ins Pflichtenheft diktieren würde.

Im teils ruppigen Ton, aber immer mit schönen Bildern

Denn trotz seiner durch und durch freundlich zugewandten Art konnte er auch sehr bestimmt sein, rücksichtslos fordernd, Schwächen schonungslos offenlegen. Zu mehr Verantwortung und Haltung forderte er uns auf, zu mehr Nachdenklichkeit. Und im teils ruppigen Ton mit immer schönen Bildern bannte der Hochschullehrer und Architekt auch noch so große Zuhörer:innen-gruppen vom ersten Wort bis zum letzten; da lächelte er manchmal kurz, vielleicht, wie um sich zu entschuldigen ob der Zumutungen dem Berufsstand, der ganzen Branche gegenüber.

Nein, ein Revolutionär war er nicht, eher ein Bewahrer, jemand, der so konservativ war, wie viele der LRO-Projekte das an ihrer Oberfläche widerspiegeln, scheinbar. Auf meine Frage, warum denn die meisten der Bauten sich an dem nur noch variierten Grundformenvokabular entlanghangeln, wieso wir denn nicht einmal einem Haus gegenüberstünden, dass „definitiv kein LRO“ sei, es dann aber doch aus dem Büro käme, antwortete er: Wieso nicht mit dem Besten arbeiten, das es nur noch feinzujustieren gälte?!

Wir haben LRO gefeiert für ihre Bauten

Und tatsächlich haben wir LRO dafür gefeiert, für das Kurvenreiche des Hessischen Staatstheaters Darmstadt, mit seiner Einbindung in die öffent­lichen Parkflächen davor, eine berührend sakrale, feierlich fröhliche Architektur zwischen klassischem und postmodernem Vokabular, das sich in den meisten der Folgeprojekte aufspüren lässt. Das Freundliche, die Rundheit, robuste Materialien, ein Mix aus feinen, tageslichtgeformten Räumen und stabiler Erschließung, ein Mix aus naiver Annahme und delikater Durchführung. Als ich mich mit Arno Lederer am 7. Mai 2013 im kleinen Ravensburg vor dem von LRO geplanten und realisierten Kunstmuseum Ravensburg zur Besichtung und längerem Gespräch traf, wussten wir beide nicht, dass das Museum am gleichen Tag von einer Jury zum Gewinner des Deutschen Architekturpreises gekürt worden war. Preise hatte das Büro davor und danach noch in Mengen verliehen bekommen.

Nicht immer ging alles glatt, zuletzt hatte der Neubau des Historischen Museums in Frankfurt a. M. das Büro an seine (finanziellen) Grenzen gebracht, der Stress mit der Bauherrin war immens. Aushalten musste das Büro auch Abrisspläne, die die 1997 realisierte Hauptverwaltung der EnBW in Stuttgart betrafen, die allerdings – auch aus ökonomischen Beweggründen – seitens der Eigentümer fallen gelassen wurden. Andererseits sprach sich Arno Lederer auch selbst für Abriss aus, so bei der Diskussion um die ­Erweitung/Sanierung des Stuttgarter Staats­theaters, für das er das (denkmalgeschützte) Gymnasium Königin-Katharina-Stift abzureißen vorschlug.

Drinnen ist anders als draußen

Mainstream hatte er gefürchtet, Durchschnitt war ihm ein Graus. Zeichnen hätte er gerne mehr wollen, Portraits und ja, auch Bauten. Die Stadt zeichnen, die ihm so wichtig war: „Zuerst die Stadt, dann das Haus“. Landschaft vielleicht. Und noch reisen. Und lesen. Was lesen?! Das wusste er nicht, weil es einfach zu viel war, was es noch zu lesen gäbe: ein Buch jedenfalls.

Eines, das ihn selbst als Autoren (und Zeichner) in den Mittelpunkt stellt, wurde Anfang des Jahres in Stuttgart vorgestellt: „Drinnen ist anders als draußen“ (bei Jovis), herausgegeben von Jórunn­ Ragnarsdóttir. Ein Vermächtnis vielleicht, eine Anleitung auf jeden Fall, „Architektur lesen“ zu können. Das Buch ist schon vergriffen, eine Folgeauflage ist aktuell in Arbeit.

Dass die Website des jungen Berliner Büros die Todesmeldung erst Tage später aufweist, mag verwundern angesichts des Medienechos ringsum. Schön ist, dass dort immer noch unter „Kontakt“ die Emailadresse „arno@ledererragnarsdottir.de“ aktiv ist. Was dem Arno Lederer sehr gefallen hätte! Be. K.


www.ledererragnarsdottir.de
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