Wir müssen immer noch viel lernen
Im Gespräch mit … Martin Rauch, Schlins/AUS
„Das Material ist also da. Was fehlt, ist ein umfassenderes Know-how und der Wille, dass man ein Lehmgebäude auch will.“ So Anna Heringer vor Jahren in einem Gespräch mit der DBZ. Nun nahmen wir den lehmigen Pfad wieder auf und sprachen mit Martin Rauch, dessen jüngster Vortrag auf der BAU 2025 die meisten Zuhörerinnen angezogen hat. Ist der Österreicher frustriert? Glaubt er noch an den Erfolg eines Materials, mit dem Top-Architekten derzeit auf ihre Projekte zusätzlich aufmerksam machen und das zurzeit beste Chancen auf ein grandioses Comeback hat?
Martin Rauch
Foto: Benedikt Kraft
Lieber Martin Rauch, in diesen säkulären Zeiten sehnen sich viele nach einem Papst vielleicht?! Für mich bist du der Lehmbaupapst … ein schön schiefes Bild?
Martin Rauch: Schief, aber schön, ja. Der Papst in Rom wird gewählt und nicht ernannt, das ist vielleicht der Unterschied. Aber dieses Singuläre ist auch nichts Neues für mich. Das Päpstliche, das du hier in den Raum stellst, resultiert sicher aus der Kontinuität, mit der ich in den letzten 40 Jahren für zahlreiche Lehmbau-Leuchtturmprojekte in der Praxis verantwortlich oder mitverantwortlich war. Wie bei der Kirche auch spielt Glaube an die Kompetenz eine große Rolle. Ich nenne das allerdings Vertrauen, Vertrauen in die Lehmbauweise. Das habe ich mir durch die andauernde Praxis erarbeitet. Vertrauen kann nicht erdacht oder erlesen werden. Vielleicht lassen wir aber einfach dem römischen Papst seinen Titel?!
„Vertrauen“ ist tatsächlich der Kern jeder erfolgreichen Zusammenarbeit. Gelingt vertrauensvolles Zusammenarbeiten nur mit Lehmbau-Aficionados oder ist das mit jeder Bauherrschaft herzustellen?
Vertrauen zu vermitteln, ist manchmal das Schwierigste. Es ist schwieriger, eine Lehmwand zu verkaufen als eine zu bauen. Unsere Projekte haben einen hohen Grad an Innovation. Dieser hohe Grad an Innovation strahlt in die Peripherie. Das gibt für das nächste Projekt wieder Vertrauen und so kommt eines nach dem anderen. Ohne mein Lehmhaus in Schlins würde es kein Ricola-Projekt geben und ohne Ricola-Projekt würde es kein Alnatura-Projekt geben usw. Vertrauen ist urwichtig, um den Lehmbau auch in Zukunft in gebauter Praxis zu erarbeiten.
Müssen wir beim Lehm auf eine bestimmte Leistung vertrauen?
Ich würde die Perspektive eher weiter denken: Wir müssen darauf vertrauen, dass Lehm mehr kann als man ihm zutraut.
Und hier könnte helfen, das Material aus der Öko- und Esoterik-Ecke herauszuholen. Lehm muss zu einem normalen, genormtem Material werden, eines von vielen im Material-Baukasten?! Ist das ein Ziel und wie nah seid ihr daran?
Ja, das ist es. Unser Slogan „100 % Erde“ beschreibt den reinen Lehmbau als Champion unter den ökologischen Bauweisen. Tatsächlich wird er häufig als exotisch und esoterisch angesehen. Warum? Weil der Lehmbau seine Selbstverständlichkeit verloren hat. Vor noch gar nicht so langer Zeit hat der einfache Bauer mit demselben Material wie der König gebaut. In Saudi-Arabien, wo wir auch tätig waren, wurde der Königspalast in Riad 1936 komplett aus Lehm und ohne Klimaanlage gebaut. Zur gleichen Zeit wurden die ersten Ölquellen im Land erschlossen. Innerhalb eines halben Jahrhunderts wurde der Lehmbau durch das schwarze Gold in die Bedeutungslosigkeit degeneriert. Mittlerweile haben wir mit unserem Know-how in Saudi-Arabien zusammen mit namhaften Architekten bereits zwei Leuchtturmprojekte mit großem Stampflehmvolumen ermöglicht.
Kommt damit das Lehmbau-Wissen aus Europa zu seinen regionalen Wurzeln zurück?
Ja. Der Lehmbau hat innerhalb von zwei oder drei Generationen sein positives Image verloren. Über Projekte wie in Saudi-Arabien, die jetzt vermehrt kommen, versucht man mühsam, diese Identität des lokalen Bauens und der lokalen Architektur in die Architektur mit einzubeziehen. Bei euch in Deutschland ist der Lehmbau dagegen länger schon ein großes Thema.
Aber auf dem Land in Saudi-Arabien werden die Häuser noch mit Lehm gebaut?!
Nein, Lehmhäuser finden sich nur noch als Reste im Bestand. In Neu-Riad siehst du heute nur noch eine Betonwüste. Lehmneubauten sind an zwei Händen abzuzählen.
Du sprachst gerade vom „reinen“ Lehmbau. Ebenfalls lese ich von dir, dass man das Material immer weiter optimieren solle. Wie kann man etwas, das man pur aus der Erde holt, optimieren und wofür? Müsstet ihr Lehmbauer nicht eher Fertigprodukte anbieten und nicht den reinen, unreinen Lehm aus der Baugrube?
Ursprünglich habe ich die Rezepte und Materialien auch sehr kompliziert betrachtet. Ich komme ja aus der Keramik und dachte, ich könne die Qualität durch ganz spezifische Materialmischungen verbessern. In der langjährigen Auseinandersetzung mit diesem Material habe ich gemerkt, dass das erodierte Material, das überall auf der ganzen Welt vorhanden ist, eine ausreichende Qualität hat. Das sieht man am Anfang noch nicht, weil man das alles sehr kompliziert denkt. Diese Selbstverständlichkeit, oder auch das Spüren des Materials, ist nur durch Erfahrung möglich. Wenn es selbstverständlich werden würde, mit Lehm zu bauen, gäbe es immer mehr Leute, die ganz einfach damit bauen würden. Ich sehe das manchmal so wie in der Abstraktion eines Kunstwerks. Bei abstrakten Zeichnungen sagt man manchmal, dass das ein Kind auch machen könne. Nein, so ist es nicht. Zuerst muss ich etwas kompliziert denken, dass ich es durch die Abstraktion auf das Wesentliche reduzieren kann. Das Reduzieren auf das Wesentliche ist ein Prozess. Wenn wir von diesen natürlichen Bauweisen so weit weg sind, müssen wir immer noch viel lernen, wie wir mit dem Material angemessen umgehen.
„Ich habe alles erforscht. Das Grundsätzliche liegt vor. Fangt an!“ Warum reagiert nicht endlich einmal die Politik, ist Lehm doch durchaus ein Material, das auf der Suche nach Alternativen zu klimaschädlichen Produkten den versprochenen Klimazielen vielversprechende Lösungen anzubieten hat?!
Ja, fangt an! Und es wird schon angefangen, vielleicht noch zu zögerlich, vielleicht noch mit zu wenig Vertrauen. Es ist mit dem Lehmbau aber auch nicht einfach. Einerseits braucht es Intuition, andererseits brauchen wir genauso Forschung und Entwicklung, um die Parameter des Materials Lehm – so beispielsweise seine Tragfähigkeit unter unterschiedlichen Bedingungen und unterschiedlichen Prozessen – in Zahlen zu erfassen, damit das in die heutige Baumethodik einfließen kann. Es geht auch darum, dass gewisse Normen erfüllt werden müssen. Dieses naturwissenschaftliche Denken und Forschen begleitet die Entwicklung und fördert die Renaissance des Materials natürlich. Forschung ist nach wie vor eine wichtige Voraussetzung für die Skalierung des Lehmbaus, ohne die heute kein „neues“ Material eine Marktchance bekommt.
Was kommt nach der Lehmbauordnung? Müssen Teile daraus in eine DIN weitergeführt werden?
Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu Normen und Regeln. Grundsätzlich sind mir Regeln zum Bauen mit Lehm lieber als Normen. Eine Regel heißt für mich, dass sich jemand Gedanken gemacht und eine Regel daraus gemacht hat. Wenn ich mich an diese Regel halte, kann nichts schiefgehen. Eine Norm bedeutet, dass ich mich nach der Norm verhalten muss. Wenn ich eine innovative Sache baue, baue ich außerhalb der Norm. Dann brauche ich die Zustimmung im Einzelfall und andere Dinge. Das verhindert oft Innovation. Zertifizierungen und Normen sind aber hilfreich und wichtig, damit große Firmen überhaupt mit diesem Material bauen oder daraus Produkte herstellen. Zum Beispiel finde ich die Norm für die Herstellung und Produktion von Lehmziegeln sinnvoll. Denn es muss darum gehen, mit dem Lehm in die Masse zu kommen. Dafür sind Normierungen sehr gut.
Was ist denn der optimale Einsatz von Lehm und wo wird er überfordert? Man sagt, die Welt sei gerettet, wenn wir mehr mit Lehm bauen. Das stimmt wahrscheinlich nicht. Wo sollte man Lehm nicht einsetzen? Gibt es Einsatzmöglichkeiten über den Wohnungsbau hinaus, die nicht rein dekorativ sind?
Lehm ist erodiertes Gestein. Erosion gibt es überall auf der Welt. Das ist sinnvoll. Man sagt, ein Lehmhaus braucht einen guten Stiefel und einen guten Hut, um dauerhaft gesund zu sein. Und so ist es auch nicht immer gut, reguläre Baumaterialien 1 : 1 durch Lehm ersetzen zu wollen. Es ist sehr wichtig, lehmspezifische Architektur neu zu entwickeln. Das heißt, mit dem Limit der Lehmbauweise zu planen und das Material entsprechend einzusetzen. Es ist auch nicht richtig, zu fordern, man müsse Beton durch Lehm ersetzen. Nein, man muss eine lehmbauspezifische Architektur entwickeln, um dann massiv mit Lehm zu bauen und mit wenig Beton. Das ist ein komplett anderer Ansatz. Wenn ich eine gute, lehmspezifische Architektur entwickle, ist es selbstverständlich, dass ich weniger mit Beton baue.
Lehmspezifische Architektur? Kannst du dazu ein paar Stichworte nennen?
Es geht um mehr Masse, dickere Wände und höhere Raumhöhen wie bei den von allen so geliebten Gründerzeithäusern. Die sind deshalb so beliebt, weil sie ein gutes Raumklima haben. Mehr Masse spielt beim Lehmbau beinahe keine finanzielle Rolle, weil wir mit Aushubmaterial arbeiten. Die Ressourcen sind also beinahe unendlich vorhanden. Ich bin der Überzeugung, dass man mit hochwertiger Lehmarchitektur mit kleinen Grundrissen auskommt und dennoch eine sehr hohe Raumqualität hat. Ich verstehe ohnehin nicht, wieso die Immobilienpreise sich immer noch aus den Flächenzahlen ergeben und nicht aus der Qualität der Architektur.
Flächenpreise sind längst internationale Währung, Qualität dagegen … das wird schwer!
Glaube ich nicht, wir könnten es ja einmal versuchen. Wenn ich eine gut geplante Lehmarchitektur realisiere, komme ich mit kleinen Räumen sehr gut aus. Beim RoSana Waldhaus beispielsweise, das ich mit Anna Heringer geplant habe, gibt es Gästezimmer mit 15 m² Fläche, andere sind zwischen 20 und 25 m² groß. Sehr häufig werden die kleineren Zimmer als Wohlfühlort angenommen.
Das liegt jetzt aber nicht nur an der Größe des Raums, sondern an vielen anderen Dingen.
Es liegt an der Qualität der Materialien, den Details, an der Proportion, am Grundriss. So etwas wird mehr und mehr auch im Wohnbau gemacht, dort passiert es dann aber nicht selten, dass man diese kleinen Grundrisse mit billigen Baustoffen kombiniert. Dann wird es zum Hühnerstall.
Gibt es ein Projekt, an dem ihr gerade arbeitet, über das du nicht sprechen darfst, aber trotzdem sprechen möchtest? Arbeitet ihr gerade an etwas Neuem?
Lehmdecken im HORTUS, Basel (Herzog & de Meuron)
Foto: Benedikt Kraft
Grundsätzlich machen wir sehr viel Forschung und Entwicklung, auch im Deckenbereich. Es gibt diese HORTUS-Decke aus Holz und Lehm, die wir zusammen mit Herzog & de Meuron in Kooperation mit Blumer Lehmann in Basel realisiert haben. Ein tolles Projekt! Dort wurden 15 000 m² Büro-Netto-Fläche mit Lehmdecken ausgeführt, Lehm aus der Baugrube vor Ort. Das ist eine tolle Innovation, die auch sehr viel Aufmerksamkeit bekommt.
Ich habe es mir in vergangenen Jahr vor Ort mit Stefan Marbach angeschaut, einem der Partner bei Herzog & de Meuron. Sehr fein ...
Beim HORTUS waren wir von Anfang an in die Entwicklung involviert. Neben den zahlreichen Feuerschutzprüfungen war die größte Herausforderung aber die logistische Umsetzung, in 100 Tagen 800 Bauelemente zu füllen. Das Material war, wie schon gesagt, der lokale Aushub, der in einer lokalen Feldfabrik verarbeitet wurde. Die Stampflehmelemente wurden ohne Zwischenlagerung unmittelbar in der Baustelle eingesetzt und dort auch erst getrocknet. Das war eine große Innovation.
Die Feldfabrik stand auf einem benachbarten, noch freien Bauplatz.
Das ist richtig. Und weil du gerade nach aktueller Forschung gefragt hast, will ich noch ein Projekt erwähnen, ein Wettbewerb zum Besucherzentrum am Schloss Charlottenburg. Gewonnen hatten den wh-p Ingenieure und Bez+Kock Architekten. Da sind komplette Gebäudestrukturen mit Lehmkappendecken geplant, die eine Spannweite von 3 m haben. Diese Decken entwickeln wir gerade bei uns in der Halle. Wir haben schon die Prototypen gebaut. Aktuell gibt es einen großen Prüfstand, der erstellt wird. Im März werden sie abgedrückt. Dann gibt es die Zustimmung im Einzelfall und dann wird das gebaut. Das ist eine lokale Produktion. Eine Feldmaschine, die neben der Baustelle steht, produziert die Bögen, die unmittelbar im Rohbau platziert werden. Das Material kommt aus der nächstgelegenen Recyclinganlage, wo die Aushübe gesammelt werden. Dort werden sie aufbereitet und zu einem wertvollen Stampflehm verarbeitet, der sukzessive per LKW auf kurzem Wege auf die Baustelle kommt und dort unmittelbar verarbeitet wird.
Wie lange braucht so ein Bauteil, bis es einsetzbar ist? Wie lange muss es ruhen, stehen … oder liegen?
Die Bögen werden unmittelbar produziert und eine Stunde später sind sie schon im Gebäude an den Stellen eingebaut, wo sie hingehören.
Sie werden also direkt eingehängt und sind gleich tragend?
Sie werden eingehängt und trocknen in der Baustelle. Das ist lehmbauspezifische Architektur, aber auch lehmbauspezifische logistische Umsetzung. In Europa hat man den Lehmbau seit der Industrialisierung vor fast 200 Jahren vergessen. Man hat ihn nicht mehr weitergedacht oder weiterbearbeitet. Das ist heute vielleicht die große Chance, einen solchen Champion an ökologischem Baumaterial mit heutiger Maschinentechnologie und ein bisschen Innovation sofort in komplett neue Projekte einzubeziehen.
Aber warum klappt das aus deiner Sicht, deinen Erfahrungen nicht? Die Lobbyisten der anderen Baumaterialien sind naturgemäß erfahrener … und länger schon dabei!
Ja, das hängt zum großen Teil mit der mangelnden Lobby zusammen. Die Frage ist, wer kann den Lobbyismus für den Lehm-Bau übernehmen? Ist das die Politik oder irgendeine Baufirma? Nein, das ist unmöglich. Ich setze auf den gesunden Menschenverstand und auf das Gespür der jungen Generation. Die wissen sehr genau um die Problematik unseres Bauens, das sie in nicht ferner Zukunft mit Wucht treffen wird. Die müssen Feuer fangen, mit aller wissenschaftlicher Erkenntnis und feinem Gespür die entscheidenden Meter machen. Das ist meine Hoffnung und ich wünsche mir, dass sie sich noch zu meinen Lebzeiten erfüllt. Auf die Politik können wir nicht warten, aber wir müssen sie immer wieder in die Pflicht nehmen.
Wir sollten auch bei der Politik Lobbyarbeit machen, denn die sucht händeringend nach guten Lösungen – von denen der Holzmodulbau nur Teil einer Lösung ist.
Zwei Fragen noch: Wenn wir Lehm aus der Grube holen, ist auch Lehmbau immer Neubau. Müssten wir Lehmbau nicht stärker nutzen, um im Bestand aktiv zu werden? Bekommt man den Lehmbau auch bei einer Sanierung in den Bestand, ohne dass er rein als Putz auf der Oberfläche bleibt? Oder würdest du sagen, dass auch ein Lehmneubau grundsätzlich klimaneutral zu erstellen ist?
Tatsächlich arbeiten wir sehr viel mit Lehm im Bestand, das Material ist hier ein sehr wichtiger Faktor. In der Denkmalpflege und bei Umbaumaßnahmen hat er riesiges Potenzial, was schon sehr lange bekannt ist. Lehmputz, Lehmbauplatten, Lehmziegel, Stampflehmvorsatzschale, Stampflehmboden, Lehm-Kasein-Spachtelung für Böden und Möbel ... Das sind alles Produkte und Techniken, die sich ideal für eine sinnhafte Sanierung eignen. Das muss man auch viel mehr fordern, forcieren und vermitteln.
Namhafte Firmen, die in den 1990er-Jahren mit Lehmprodukten angefangen haben, haben 70 % ihres Umsatzes durch Denkmalpflege eingenommen und ungefähr 30 % durch Neubauten. Heute ist das etwa umgekehrt, etwa 70 % des Umsatzes bringt der Neubau und 30 % der Bestand. Es wandelt sich aber. Und weil wir alle wissen, dass wir mehr im Bestand sanieren müssen, könnte jetzt der Lehm massiv gefördert werden. Wie bei der Wärmepumpe, für deren Einbau man Geld bekommt, wenn man die ölbetriebene Heizung ersetzt. Man sollte mit dem Lehmputz starten, der immer noch deutlich teurer ist als mineralischer. Zumindest diese „Ich baue günstiger“-Motivation braucht man.
Mineralischen Putz kann ich mit einer Maschine auftragen. Lehmputz muss immer noch von Hand gemacht werden.
Nein. Lehmputz kann ich genauso mit Maschinen auftragen, allerdings scheint sich das bis heute nicht herumgesprochen zu haben!
Mein Bauunternehmer hat das vor 12 Jahren noch so behauptet … Wir haben lange nach Handwerkern Ausschau gehalten für den Lehmputz, den die dann auch wirklich händisch auf die Ziegel gestrichen hatten.
Schade, aber wie gesagt, es geht auch mit der Maschine. Was ich aber noch erwähnen wollte, ist die Arbeit am Landesmuseum in Bregenz, eine Sanierung und Erweiterung geplant von Cukrowicz Nachbaur. Da haben wir wohl 16 000 m² Lehmputz aufgebracht, bis zu 3 cm dick. Diese große Menge Lehm auf den Wänden hatte die Folge, dass man die klimaregulierende Maschinerie um 40 % reduzieren konnte. Man spart das Geld für Maschinen und Energie, was man in den Lehmputz investierte.
Ich komme zu meiner letzten Frage – an die sich immer noch Allerletzte anschließen. Du kämpfst mittlerweile Jahrzehnte für den Lehmbau. Gibt es schon jemand, der dich beerben wird? Wer treibt uns in Zukunft in dem Thema an? Dein Team wahrscheinlich, denn „Netzwerk“ ist für euch ein zentraler Begriff.
Die Sinnhaftigkeit des Tuns ist die Motivation in unserer Netzwerkzentrale oder in unserer Firma. Bei mir gibt es weder einen Prinzen noch einen Kardinal. Es ist ein wunderbares, junges Team, deren Mitglieder mit großer Begeisterung gemeinsam die Bauwende mitgestalten wollen. Das bekommt eine Eigendynamik. Darüber bin ich sehr froh. „Lehm“ klingt für uns keineswegs zäh, so wie du es in deiner Interview-Anfrage irgendwo formuliert hast. Lehm steht für eine Verbindung. Menschen, die bei uns arbeiten, sind auch oft befreundet. Lehm verbindet. Lehm schützt. Lehm vermittelt. Er vermittelt auch Hoffnung. Lehm ist für mich ein friedensstiftendes Element. Das ist wichtiger denn je, weil unsere Kriege und unsere Unfrieden oft aus Ressourcenproblematiken entstehen. Es sind Ressourcenkriege und Ressourcenprobleme. Lehmbau hilft, mit diesen Ressourcen gesünder umzugehen.
Das ist ein Schlusswort. Leider ist mir noch etwas eingefallen. Wirst du irgendwann ein Buch über dich schreiben und darüber, was dich zum Lehmbaupapst gemacht hat?
Ach, ich habe schon soviele Bücher geschrieben, mitgeschrieben und mitgestaltet.
Ich meine keine Fachbücher, sondern eine Biografie.
Nein, das ist nicht geplant. Und ich hätte dafür momentan erstens keine Zeit und zweitens ist mir das nicht wichtig.
Schade, deine Bücher sind häufig vergriffen, nicht wenige haben Sammlerwert …
Gut, ich habe schon überlegt, was ich als Nächs-tes schreiben würde. Das wäre eher ein Buch über Erosion. Erosion ist ein Wort, das wir nicht gern hören. Es ist negativ besetzt. Wir akzeptieren die Vergänglichkeit der Dinge nicht, wir sind oft Sklaven unseres Perfektionismus. Wir akzeptieren in gleicher Weise auch das Einfache nicht. Ich möchte den Lehmbau in einen Kontext setzen. Das wäre meine Präferenz, statt einer Biografie.
Das könnte dann aber auch eine Biografie werden. Ich denke an Lars Müller, der müsste so ein Buch machen. Er hat Bücher über das Grundsätzliche gemacht, über Glauben, Menschenrechte oder über das Wasser. Da würde ein Buch über Erosion wunderbar hineinpassen.
Aktuell habe ich keine Zeit, aber es kann passieren.
Es muss passieren. Ich danke für die Zeit.
Wir alle leben ja tatsächlich in zunehmend erodierenden Zeit/Raum-Konstellationen, was zu schaffen macht, hinsichtlich einer angemessenen Themenvermittlung.
Das stimmt, aber hier hat es hoffentlich funktioniert mit uns. Ich melde mich, wenn das Thema Lehmbau eine dramatische Wendung nimmt!
Mit Martin Rauch unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft zuerst in München auf der BAU, dann via Teams am 24.01.2025.