Abrahams Haus für Musiker
Ein Besuch auf einer Baustelle, die eigentlich keine mehr ist 22.01.2018Als Raimund Abraham 4. März 2010 eine kleine Vorlesung in Los Angeles gehalten hatte, ahnte natürlich niemand, dass der 1933 im damals braunen Linz geborene Architekt nur wenige Stunden später tödlich verunglückte; sein Wagen war auf der Stadtautobahn mit einem Bus kollidiert. Da war sein wichtigstes Gebäude, das Österreichische Kulturforum ACT an der 11 East 52nd Street mitten in Manhatten seit acht Jahren fertig. Und sein vielleicht geheimisvollstes, das Haus für Musiker auf dem Gelände der Raketenstation bei Neuss noch lange nicht.
Immerhin stand schon der Betonrohbau (DBZ 4 2009), die Form war erkennbar, das Volumen vorhanden, der Ort bereit für erste Inbesitznahmen. So beispielsweise für die Ausstellung „The Reality of the Unbuilt” 2012, die im Titel auf Abrahams Haltung zur ungebauten, allein gezeichneten Architektur anspielte. Und natürlich darauf, dass die Betonskulptur am Rande des Geländes der Raketenstation noch immer nicht fertig war … vielleicht niemals fertig würde?
Letzteres erschien gar nicht so abwegig, selbst wenn schon rund 1,4 Mio. € investiert waren, ein großer Teil davon öffentliches Geld. 2007 war der Kunstsammler Karl-Heinrich Müller gestorben, ihm haben wir den Abraham-Bau zu verdanken. Wie auch insgesamt die Architekturen auf seiner Kunstinsel Hombroich, der benachbarten Raketenstation und dem Kirkeby-Feld, wo der mit ihm befreundete Künstler Erwin Heerich einige Pavillonbauten realisierte. Hinzu kommen Häuser/Objekte von Alvaro Siza, Dietmar Hofmann, Katsuhito Nishikawa, Claudio Silvestrin, Tadao Ando und eben auch das Haus für Musiker von Raimund Abraham. Einige dieser Architekten hatten auf Hombroich an einem internationalen Architektursymposium teilgenommen, dessen Ergebnisse 1996 im Rahmen der Architekturbiennale Venedig präsentiert wurden. Mit der Teilnahme an der Biennale traten die Museumsinsel Hombroich und die Raketenstation erstmals ins internationale Rampenlicht.
Nun war also der Kunstsammler Müller nicht mehr, 2009 stand der Rohbau, 2010 starb sein Architekt. Doch weil er seine Bauten bis in die letzten Winkel hinein zeichnerisch erforschte, war es lediglich das Problem der Initiative. Wer sollte Idee, Konzept und Konstruktion des Betonbaus seiner Fertigstellung zuführen? Und es gab das Problem der letztendlichen Schärfung der Nutzungsvorhaben, denn obwohl das Haus für Musiker auch ein solches sein könnte, wären vergleichbare künstlerische Nutzungen durchaus vorstellbar.
Doch weil die Finanzierung stand und die Pläne vorhanden waren, weil es Menschen gab, die mit dem Bau verbunden waren wurde Ende 2013 der Rohbau fassadenseits geschlossen und mit dieser Schließung das Signal für einen möglichen Fortgang des Projektes gesetzt. Infolge und bis heute suchen die Stiftung und mögliche Träger nach seiner konkreten Nutzung. Vorstellbar sind Stipendiatenprogramme für Geiger, ein Artist-in-Residence-Konzept, temporäre Nutzungen für Konzerte oder Ausstellungen und so weiter. Was nicht infrage kommt sind rein kommerzielle Nutzungen. Anfragen hierzu gab es, so die Museumsinsel, bereits häufiger. Was die Sache nicht leichter macht, denn tatsächlich waren sowohl Architekt wie auch der Kunstsammler davon überzeugt, dass Architektur und Kunstengagement nicht absolut zweckgerichtet sein müssten, Abraham war das Bauen nach eigenen Worten sogar eine „Zwangsjacke“, die er in seinen späten Jahren gänzlich abgelegt habe. Auch dem Kunstsammler und Stifter war es nicht entscheidend, sein Projekt abgeschlossen zu sehen, vielmehr verstand er sein Museums- und Künstlerprojekt als Work in Progress mit offen gehaltenem Ausgang.
Nun steht der Betonzylinder am westlichen Rande des Geländes Raketenstation, meist ist die Gitterpforte geschlossen. Wer dennoch hineingelangt steht unter der 33 m im Durchmesser großen Betonscheibe, die auf lediglich 10 Stützpunkte gelagert ist und deren Ausstanzung – ein gleichseitiges Dreieck mit einer Seitenlänge von 17 m – den Himmel kantenscharf erfasst. Der Bau ist exakt achsensymetrisch gegliedert, die Achse weist östlich auf den alten Beobachtungsturm des ehemaligen NATO-Geländes, heute das Thomas Kling-Archiv. Rechts und links liegen jeweils zwei der zwei Geschosse hohen Musikerräume, die mit dem zentralen Veranstaltungsraum im Untergeschoss auf der gleichen Ebene beginnen. „Veranstaltungsraum“ klingt allerdings nüchterner, als dieser Raum, über dessen Mitte sich in der Decke ein kreisrundes, transluzentes Glas befindet, an Atmosphäre ausstrahlt: Er wirkt eher wie die Opferstätte im Zentrum eines okkulten Ritus.
Oben schweben zwei Treppenrampen links und rechts über der kreisrunden Hofläche zu den Wohnungen möglicher Muskiergäste im Obergeschoss. Sie lagern auf den beiden Erschließungstürmen rechts und links des eigentlichen Wohnhauses am westlichen Platzende auf, die einerseits Dachlasten tragen, andererseits die Vertikalerschließung (verzinkte Spiraltreppe) aufnehmen. Die hellen Lamellen vor Türen und Fenstern, die aus gleichem Holz (Lärche) gefertigen Fensterrahmen stehen im Kontrast mit dem roh geschalten Ortbeton, der in Ansätzen bereits erste Verwitterungsspuren trägt. Die wiederum reiben sich an den perfekten Oberfläche der schimmernden Metallleinbauten der Erschließungsstege. Dass Abrahams zweites in Deutschland realisiertes Gebäude mit seinem ersten in Berlin deutlich verwandt ist, aber in Nutzung und Entstehung radikaler und mehr ein Alterswerk ist, ist jetzt offenbar: Sein Wohn- und Geschäftshaus in der Friedrichstraße 32/33, das im Rahmen der IBA 1984 errichtet wurde, ist wie der Ausgangspunkt einer längeren Suche nach einem Ort, an dem das Künstlerische über den Zweck hinaus gehen konnte. Womit hat der Mann aus New York am Ende vielleicht die Erde versöhnt hat, die, wie er sagte, mit jedem neuen Bauen aufs Neue beschädigt wird. Be. K.
Haus für Musik, Raktenstation