Berlin kann es nicht

ICC-Abriss durch Denkmalschutz verhindern? Fluchtort für die aus dem Schloss ausgewiesene Berliner Landes- und Zentralbibliothek? Aber ja! Ein Plädoyer

Man fährt immer an ihm vorbei. Mit dem Zug, von Westen in die Stadt kommend. Das Internationale Congress Centrum ICC liegt als ein grauer Riese auf einer kleinen Anhöhe linkerhand über Gleisen und Autobahn, daneben der Funkturm und neue Messehallen.

1979 wurde das ICC im Berliner Charlottenburg-Wilmersdorf vom Bundespräsidenten Walter Scheel und dem Bürgermeister Dietrich Stobbe feierlich eröffnet. Damals, das ist mittlerweile 36 Jahre her, gab es keinen Zweifel, dass dieser hochmoderne Bau die Zukunft sei; die des Kongressgeschäftes, aber auch irgendwie die der Architektur.

Geplant von dem Architektenpaar Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte musste auf einem ehemaligen Parkplatz ein Volumen untergebracht werden, das extremen äußeren Bedingungen unterlag: einem zu schmalen Baugrundstück inmitten von Straßenlärm. Das Baugrundstück wurde mittels Straßenverlegung breiter gemacht, dem Lärm wurde eine zweischalige Gebäudehülle entgegengesetzt, die dem 320 m langen Baukörper heute seine SF-Anmutung verleiht: Immer wieder erwartet man ein Auffahren des den Baukörper überlagernden Stahlfachwerkpanzers, und aus dem nach oben geöffneten Baukörper steigen Raumgleiter auf oder doch wenigstens die Hoffnung, es möge hier bald schon irgendwie weitergehen.

Denn seit gut einem Jahr ist das ICC geschlossen. Ein Geisterhaus, dessen Stillstand viel Geld kostet. Unwirtschaftlich sei das Center, so der Eigentümer, das Land Berlin. Der Betreiber widerspricht. Und es sei auch nicht mehr auf dem Stand der Gebäudetechnik. Eine Nachrüstung und Sanierung würde rund 200 Mio. € kosten. Das ist exakt die Summe, die der beschlossene Museumsneubau für die Kunst des 20. Jahrhunderts am Kulturforum verschlingen wird. Ein Abriss des ICC wurde schon diskutiert, die Kosten dafür und die Frage, was machen mit dem schwierigen Grundstück haben es bisher gerettet.

Aktuell sind Überlegungen, hier ein Shoppingcenter (Internationales Consumer Center ICC??!) unterzubringen, vom Tisch. Man konnte keine wirkliche Nachfrage an diesem Ort ermitteln. Die längst fällige Unterdenkmalschutzstellung wird ebenfalls aktuell von Berlins Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) vorangetrieben, die fachliche Prüfung dieses Ansinnens prüft im Augenblick der Landeskonservator Jörg Haspel.

Und nun kommt die Meldung, dass der amtierende Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller (ebenfalls SPD), die dem Land zustehenden Sonderflächen im Schloss (alias Humboltd-Forum) jetzt nicht mehr für eine Art Außenstelle der Zentral- und Landesbibliothek genutzt werden, die hier eine Ausstellung zum Thema „Welt der Sprachen“ plant. Im Schloss, so die Sozialdemokraten, soll die Geschichte Berlins präsentiert werden. Neben all dem Geschrei, dass diese Umplanung die Realisierung der Schlossreplik verzögere und viel teurer mache (endlich gibt es einen Grund!), haben alle übersehen, dass damit die Diskussion um einen neuen Standort für die ZLB neuen Schwung erhalten hat. Die – historisch bedingt – zur Zeit noch auf zwei Standorte verteilte Bibliothek, sollte einmal am Tempelhofer Feld einen Neubau erhalten, der allerdings durch ein Bürgerbegehren abgelehnt wurde.

Im ICC mit seinen rund 80 Sälen für wenige bis zu 5000 Besucher wäre Platz für Bücher. In dem 320 m langen und 40 m breiten Volumen könnte man Sprachreisen erlebbar machen. Das Wort „Leseinsel“ bekäme im dem riesigen Volumen eine Dimension, die angemessen ist, visuelle Medien hätten Orte, ihren Erzählebenen räumliche Präsenz zu verleihen. Man sollte Verlagsdependencen hier ansiedeln, große und kleine, hoch spezialisierte Buchhandlungen, Schreibwerkstätten ... Und Berlin – und nicht das satte München – würde Frankfurt a. M. ablösen als die Stadt, die eine internationale Buchmesse gäbe, die nicht unter den Zwängen horrender Nebenkosten stöhnte.

Aber kann Berlin so etwas?! Die junge Geschichte des Schlosses scheint uns zu sagen: nein. Aber kann Berlin, die einzige deutsche Metropole, wirklich nur teure Hochkultur von der Stange? Die Zukunft des ICC ist ein Prüfstein, der bei jedem Besuch von Westen immer wieder von links ins Zugabteil hinein winkt. Hoffentlich sehr lange noch und endlich wieder sehr lebendig. Be. K.

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