Wahlzeit: Jugend und Bildung statt Spitzenarchitektur

Bonner Festspielhaus-Projekt vom Tisch, Beethovenhalle darf bleiben, vorerst

Damals war Bonn noch ein Provisorium und seine Hauptstadtarchitektur hatte ebenfalls etwas davon. Der von Hans Schwippert 1949 geplante und in den Folgejahren sukzessive realisierte Plenarsaal des Bundeshauses war in diesen Jahren wohl das einzige Statement zur zeitgenössischen Architektur (und deshalb gerade in Bonn durchaus umstritten). Dass es in den Folgejahren zum Bau der Beethovenhalle kam, die national wie international Aufsehen erregte, wurde in den folgenden Jahrzehnten offenbar ein wenig aus den Augen verloren; das mittlerweile dritte Haus, das dem Werk Beethovens und überhaupt der Musik gewidmet ist, das längst unter Denkmalschutz steht, sollte abgerissen werden. Sollte, denn seit dem 21. April 2010 gab es von Stadt- und Investorenseite das Signal zum Rückzug.

Gründe für den Abriss des Hauses, das nach dem Entwurf des damals 29-jährigen Architekten und Scharoun-Schülers Siegfried Wolske von 1956-59 gebaut wurde, gibt es viele, Vordergründe, wie man damals schon sehen konnte. Grund eins: Drei mächtige, ortsansässige wie global agierende Unternehmen möchten der Stadt den Neubau schenken. Grund zwei: die Beethovenhalle hat eine mindere Akustik. Grund drei: der Bau muss ohnehin saniert werden. Gegen den ersten Grund für den Abriss könnte man das Stichwort Nachhaltigkeit bringen, Angemessenheit, und das offenbar schwer zu vermittelnde der historischen Kontinuität (Identifikation, Heimat, Authentizität etc.). Gegen den zweiten: Hier urteilen Akustiker und ausgewiesene Meister des Dirigentenfaches diametral gegensätzlich. Gegen den dritten: Die Kosten für die mögliche, denkmalverträgliche Sanierung sind geringer als die eines Neubaus. Wenn die Investoren es mit ihrem Geschenk ehrlich meinen, können sie hier loslegen.

Wollen sie aber nicht, es muss ein Neubau sein. Doch weil gegen diesen einzelne Initiativen und Teile der Bevölkerung Stimmung machen, heisst es nun, die Stadt wolle anstelle der etwa 4 Mio. € jährlicher Bewirtschaftunsgkosten für den Neubau das Geld in Kindergärten oder marode Schulen investieren; Wahlzeit!?

Was den Stadtoberen, hier insbesondere dem bis zuletzt Abrissbefürworter, SPD Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, offenbar entgangen war in ihrem Leuchtturmwahn – der allenthalben zur Zeit jede deutsche Großstadt im Griff zu haben scheint –, ist, dass der Neubau der Musikhalle nach dem Krieg 1939-45 eine bürgerschaftliche Angelegenheit war. Nicht die Stadt war hier Anfang der Fünfziger der treibende Motor, die Bürger wollten endlich wieder einen Ort haben, an welchem sie Musik hören konnten.

Dass der Denkmalschutz wieder einmal nicht das Motiv war, die Abriss- und Neubaupläne ruhen zu lassen („Projekt Beethoven-Festspielhaus soll vorerst nicht weiter verfolgt werden“, siehe beiliegende Presseerklärung vom 21. April 2010), überrascht nicht mehr, in Hannover oder Köln, in Frankfurt oder München ist Denkmalschutz längst nur noch etwas für Historiker, für Fachleute, die Geschichte als etwas Geschehenes, Abgeschlossenes, Ausstellbares betrachten.

Was bleibt, ist eine Halle, in welcher auch hervorragende Musik gemacht wird und über deren Nachhallzeit Experten sich streiten mögen. Hier und heute gilt: Wenn die Musiker mittelprächtig sind, die Instrumente nicht sauber gestimmt, wenn der Magen gereizt ist oder die Kinder zuhause krank sind, wenn Beethoven wieder einmal so gespielt wird wie immer schon, wenn die Eintrittspreise zu hoch und die Diven zu routiniert sind, kann trotzdem ein musikalischer Abend ein schöner Abend werden, gute Architektur hin oder her. Und wenn Geld dafür da ist, die Eintrittspreise zivil, also bürgerlich zu gestalten und die Diven von einem von der Musik begeisterten Publikum zu Höchstleistungen angestachelt werden, dann sind internationale Spitzenarchitektur und Spitzenakustik (was immer die sein mögen) so überflüssig, wie die schöne Schleife um den Hals eines gut gelagerten 62er Pommard Clos de Verger; den man jetzt so langsam trinken sollte, feine Nase hin oder her. Be. K.

Gemeinsame Presseerklärung zum Stopp des Festspielhaus-Projektes in Bonn

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