Institut für Neurowissenschaften, Paris/FR

Das Plateau von Paris-Saclay ist die französische Antwort auf amerikanische Elite-Universitäten wie Columbia und Harvard. Als federführendes Team realisierten Dietmar Feichtinger Architectes mit Celnikier & Grabli Architekten und Ingerop Conseil & Ingénierie das dortige Institut für Neurowissenschaften.

20 Kilometer südlich von Paris entsteht am dortigen Campus eine internationale Drehscheibe technologischer Forschung. Langfristig sind dafür fast drei Milliarden Euros budgetiert. (https://en.wikipedia.org/wiki/Paris-Saclay) Das dortige CEA (Commissariat à l‘énergie atomique) ist eine führende Forschungseinrichtung für Energie, Umwelt, Technolgie und Gesundheit. 2013 schrieb es einen geladenen Wettbewerb für ein Institut der Neurowissenschaften für etwa 350 WissenschaftlerInnen und 40 Studierende aus. 59 Büros bewarben sich, das Siegerprojekt stammt von Dietmar Feichtinger Architectes als federführendem Team mit Celnikier & Grabli Architekten und dem Planungsbüro Ingerop Conseil & Ingénierie. Im März 2020 ging es in Betrieb.

Technik und Wohlbefinden

„Es war eine technische Herausforderung, die konstant kontrollierbaren Bedingungen für wissenschaftliche Forschung zu gewährleisten“, sagt Architekt Dietmar Feichtinger. „Wir wollten außerdem räumliche Qualitäten mit Tageslicht, frischer Luft und einem Bezug zum Freiraum schaffen. Es ist uns gelungen, beide Aspekte gleichrangig zu erfüllen.“ Die geforderten Bereiche – Forschung an lebenden Organismen, Labors, Büros, Foyer und Auditorien - unterliegen unterschiedlichen Zugangsbeschränkungen, die sich aus der schlüssigen Organisation ergeben. Drei eingeschnittene, zugängliche Innenhöfe und transparente Verbindungsstege schaffen taghelle Arbeits- und Laborplätze, sowie informelle Kommunikationszonen, die für die Forschung wesentlich sind.

Spiel mit der Wahrnehmung

Umgeben von Bäumen, liegt das Institut für Neurowissenschaften unweit der atomaren Forschung des CEA, wodurch Synergien erzeugt werden. „Wir haben den Baumbestand erhalten, um das Auditorium in die Parklandschaft des Campus einzuschreiben. Zugleich erzeugen wir die Atmosphäre eines öffentlichen Platzes“, sagt Dietmar Feichtinger. Als niederes, dreieckiges Volumen ragt der Eingangsbereich im Süden aus dem vierstöckigen, kubischen Gebäude von 95 Meter Länge und 50 Meter Breite. Er rahmt einen Vorplatz mit Wasserbecken, der die Achsen der benachbarten Forschungsbauten aufnimmt. Das umlaufende Vordach des Eingangsbauteils verjüngt sich zur Spitze hin. Seine Untersicht aus poliertem Edelstahl spiegelt die Umgebung scheinperspektivisch verzerrt, je nach Blickwinkel und Tageslicht. Dieses Spiel mit der Wahrnehmung begleitet den Weg zum Eingang des Instituts. Er liegt zwischen Auditorium und Foyer. Der polierte Edelstahl findet sich im Empfangspult wieder. Eine einläufige Stiege führt auf die Galerie im ersten Stock. Acht Meter Raumhöhe, eine ebenso hohe Über-Eck Verglasung und Eichenparkett am Boden bilden ein freundliches Foyer, das auch das Auditorium und Seminarräume erschließt. Es ist die Visitkarte des Instituts und seine Nahtstelle zur Öffentlichkeit: In diesem Raum, der sich über große Schiebeelements zum Vorplatz erweitert, können Veranstaltungen stattfinden.

Das Zentrum der Forschung

Eine Fassade aus Betonpaneelen und schmalen Glasschlitzen umhüllt den dahinterliegenden Forschungsbereich in der Sockelzone. Die Funktionsweise der Neuronen wird auch an lebenden Organismen wie Fischen erforscht. Sie werden in Aquarien unter konstanten Bedingungen (Wassertemperatur, Licht) im Untergeschoss gehalten, das teilweise durch Lichthöfe natürlich belichtet wird. Auch die Bedingungen für die Labors mit Versuchstieren im Erdgeschoss müssen konstant gehalten werden. Diese Bereiche bilden das Zentrum des Instituts: der Grundriss liest sich wie ein Schaltplan aus Fluren mit Aquarien, Gehegen und Labors. Perfekte, auf Material und Funktion abgestimmte Details charakterisieren die Arbeit von Feichtinger Architectes. Sie waren für diese Bauaufgabe unabdingbar. Der reinweiße, fugenlose Maschinenraum der neurologischen Forschung wirkt abstrakt – für seinen reibungslosen Betrieb ist ein eigenes Technikgeschoss eingezogen. Ein rückseitiger Ladehof dient der Lieferung von Futter, lebenden Organismen und Entsorgung. Die räumlichen Anforderungen ändern sich ständig: eine Stützenstruktur aus Stahlbeton erlaubt, Bereiche nach Bedarf anzupassen.

Optimale Arbeits- und Forschungsstätte

Rund 350 WissenschaftlerInnen arbeiten in den Obergeschossen. Offene Räume mit viel Tageslicht, Ausblicken und großzügigen Erschließungsbereichen, die zum Austausch einladen, schaffen optimale Arbeitsbedingungen. Informelle Kommunikation ist die Basis wissenschaftlicher Innovation. Drei eingeschnittene begrünte Innenhöfe dienen als interne Freiräume. Dort hält man sich gerne auf und findet Begegnung statt. Diese Höfe versorgen auch innenliegende Büros und Labors mit natürlichem Licht. Die Parapete sind 70 cm hoch, Installationen verlaufen offen geführt an der Sichtbetondecke. Schallschluckende Holzfaserplatten an den Decken der Büros verbessern die Raumakustik. Hellgraue Böden und gangseitige Wände aus Glas schaffen eine freundliche transparente Atmosphäre.  Auch hier ist Flexibilität gefragt. „Wir können Büros zu Labors und Labors zu Büros umgestalten“, sagt Feichtinger. Stützenraster, aussteifende Erschließungskerne und Zwischenwände im Leichtbau machen es möglich.

Die drei Ebenen sind übersichtlich strukturiert: An den horizontalen Fensterbändern der Fassade, reihen sich Büros und Labors an einem hellen Mittelgang aneinander, von dem je zwei weitere im rechten Winkel abzweigen. Diese docken mit gläsernen Passerellen an die gegenüberliegenden Büros und Labors an. „Das Gebäude hat viel Außenbezug und ist sehr effizient“, so Feichtinger. „Die Passerellen schaffen kurze Verbindungswege.“ Die Quertrakte mit den Passerellen gliedern den inneren Freiraum in drei Höfe. Etwa 15 Meter breit, 24 Meter lang, bewegen sich diese leicht gegeneinander versetzt diagonal durch das Gebäudevolumen. So reagieren sie auf die unterschiedlichen Tiefen der Bürozonen, schaffen unverwechselbare Orte und ermöglichen es, das Gebäude über den Freiraum zu durchwegen. Die opaken Elemente der Fassade sind zu den Innenhöfen aus emaillierten Metallplatten, nach außen aus opalen Glasplatten ausgebildet. „Die Menschen, die hier forschen, sollen einander begegnen – daher haben wir attraktive Außenterrassen, wo man natürlich auch arbeiten kann“, sagt Dietmar Feichtinger. Erschließungszonen sind sehr attraktiv gestaltet. Durch die verglasten Verbindungsstege sieht man in den Hof. Die gewendelten Holztreppen mit breiten Podesten und Galerien machen die Stiegenhäuser zu Orten der Bewegung und Begegnung. „Man soll nicht unbedingt auf den Lift warten, sondern zu Fuß gehen.“ Das Gebäude ist für die Forschung optimiert, sowohl für den Prozess wie auch das Wohlbefinden der Mitarbeiter.


 

 


Dietmar Feichtinger Architectes, Montreuil/FR,  www.feichtingerarchitectes.com
 
Celnikier & Grabli Architekten, Paris/FR, www.celnikier-grabli.com
 
Ingerop Conseil & Ingénierie, Rueil-Malmaison/FR, www.interop.fr 

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