Bauen, um das Bauen voranzubringen
Als am „Tag des offenen Denkmals“ in Celle, das Landesamt für Denkmalpflege zum Podiumsgespräch im Direktorenwohnhaus von Otto Haesler einlud, war neben der Präsidentin des NLD und dem Leiter der Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen auch der Architekt Oskar Spital-Frenking auf dem Podium. Es ging um Denkmale und Ressource, um Systemgrenzenüberschreitung und darum, ob wir überhaupt noch neu bauen können. Können wir? Oskar Spital-Frenking appellierte deutlich, wir staunten und fragten bei ihm nach.
Interview: Benedikt Kraft/ DBZ
Oskar Spital-Frenking
www.spitalfrenking-schwarz.de
Foto: Benedikt Kraft
Lieber Oskar Spital-Frenking, wir sprachen gerade noch über Denkmale und Ressourcen, ein Zusammenhang, der mir in der Tiefe der Sache in der Diskussion um Bauen und Klimaschutz noch nicht so bewusst war. Sie provozierten mit der Aussage, dass wir, wollten wir die Klimaziele erreichen, gar nicht mehr neu bauen dürften. Können Sie das, der Sie ja praktizierender Architekt sind, erläutern?
Oskar Spital-Frenking: Das mache ich doch gerne. Sehen Sie, wenn wir bilanzieren, wo unsere Probleme herkommen, was die CO2-Belastung angeht, was Umweltbelastung oder Ressourcenmanagement und so weiter, dann hat das eindeutig etwas mit dem Begriff „Verbrauch“ zu tun. Wir gebrauchen heute nicht mehr, wir verbrauchen. Wir benutzen etwas und dann ist es weg. Und diese Auffassung vom Gebrauch, der ein Verbrauch ist, sind wir gewohnt – ich bin ein 1960er-Jahre-Kind, wie Sie ja auch. Unsere Generation ist immer noch auch Nutznießer, uns geht es bis heute sehr, sehr gut. Der Earth Overshoot Day rückt immer weiter in Richtung Jahresanfang. Das kann schlicht und ergreifend nicht sein, kein Bauer, kein Waldbesitzer, niemand, der seine eigenen Vorräte im Überblick hat würde das machen. Außer, man wäre dumm oder, schlimmer noch, verantwortungslos. Ich glaube, dass das Bauwesen dieses Verantwortlichkeitsbewusstsein über lange Zeiträume hinweg nicht hatte. Gebäude werden schon lange nicht mehr auf 100 Jahre gerechnet, sondern auf Rendite. So sind heute viele Immobilien schon nach 15 Jahren abgeschrieben … teils im wortwörtlichen Sinne.
Mit einer solchen Haltung produzieren wir Schrott, bezogen auf den Aspekt Haltbarkeit. Die Bauindustrie hat sich zunehmend darauf spezialisiert, Quantitäten zu schaffen. Der handwerkliche Baubetrieb mit Meister, Gesellen und auch dem Hilfsarbeiter, steht nicht mehr im Fokus. Das Ziel scheint zu sein, schnell, möglichst effizient zu fertigen und zu montieren, also in Systemen zu denken. Das steht mittlerweile konträr zu dem Anspruch, Dinge reparaturfähig zu produzieren, also mit Langlebigkeit und guter Pflegemöglichkeit.
Sie sind Architekt und also auch Gestalter. Was sagen Sie Ihren Kollegen, die nur noch im Bestand gestalten sollten?
Ich hatte das Glück, dass ich nach dem Studium in einem Büro arbeiten durfte, in dem man mir gleich Einiges zutraute. Das erste Objekt war das Kloster Schloss Bentlage. Ein großes Projekt und ich hatte damals meinen Chef gefragt, ob er mir nicht lieber ein einfaches Wohnhaus zuteilen wollte, als Starter. Mein Chef hatte geantwortet, dass ich das mal schön machen sollte, eine Aufgabe wie diese bekäme ich möglicherweise nie wieder. Was nicht stimmte. Aber trotzdem hatte er Recht mit seinem Urteil zur Qualität des Bestands, den die Stadt selber schon abreißen wollte. Wir haben uns den lange leerstehenden Bau im Detail angeschaut und sind schnell zu der Überzeugung gelangt, dass er völlig ausreichend ist und wir keinen zusätzlichen Neubau brauchen. Tatsächlich war es zu dieser Zeit noch üblich, Bauen im Bestand immer als Neubauen im historischen Umfeld zu betrachten. Der Neubau war da das Eigentliche, der Bestand die schöne Rahmung!
Bei den älteren Kollegen, meinen Professorenkollegen in Trier, gibt es inzwischen eine große Einigkeit zu diesem Thema des Weiterbauens etc. Das hat auch etwas mit einem Generationswechsel zu tun, für die Jüngeren ist die Arbeit im Bestand die Aufgabe der kommenden Jahrzehnte. Und die ist anspruchsvoller als Neubau. So gebe ich eine Umbauaufgabe erst an höhere Semester heraus, Studienanfänger können das noch nicht.
Die scheitern?
Die scheitern. Die müssen erst einmal lernen, zu entwerfen, konzeptionell zu arbeiten, zu denken.
Dass man als Kreativer das respektieren muss, was eine Vorgängerin gemacht hat, ist das eine Schwierigkeit?
Ja, vielleicht schon. Das hängt aber sicherlich von der jeweiligen Persönlichkeit ab.
Die Glasfuge als Statement: Respekt und/ oder einfallslose Distanzierung?
Ja, da war die Haltung noch eine andere. Aber es wurde auch viel neu entworfen, es kamen beispielsweise neue Fenster in die Fassaden, die wir aus Stahl und Glas entwickelten und und und. Diese Arbeiten haben das Potenzial, sich selber auszudrücken, vielleicht mehr, als wenn wir anstelledessen einen supertollen Neubau gemacht hätten. Was wir auch konnten, gar keine Frage.
Weniger Umsatz im Bestand? Wie kann man die Bauindustrie für den Bestand gewinnen?
Im Wort „Bauindustrie“ steckt „Industrie“. Bauen hat ursprünglich, sagen wir mal „traditionell“, mit Handwerk zu tun, nicht mit industrieller Produktion. Das erzeugt ein wesentliches, ein vielleicht gar systemisches Problem. Hier brauchen wir ein Umdenken, das – wenn wir unsere handwerkliche Kultur wiedererwecken würden – viele Vorteile mit sich brächte. Wir wollen doch reparieren, wollen Dinge lange nutzen. Die Industrie kann nicht reparieren, das, was geliefert wird, wird eingebaut und nicht mehr zurückgenommen, ausgebaut. So etwas ginge, wenn wir wieder vor Ort fertigten und bauten. Das kann das Handwerk. Die Industrie fängt an, hier umzudenken. Die Ziegelindus-trie zum Beispiel bietet, Tendenz steigend, rezy-klierbare Mauerwerkskonstruktionen an. Auch gibt es bereits Bauteile, die man wieder auseinandernehmen kann. Hans Döllgast hat fantastische Gebäude gemacht mit Trümmerziegeln, ohne Zementfuge. Die Zementfuge ist das Dilemma des heutigen Ziegelmauerwerks, weil sich der Kleber schlecht vom Stein löst. Der wiederum ist ein super Material. Also da bewegt sich etwas.
Ja, da bewegt sich etwas. Eigentlich auch rückwärts, denn das, was wir anstreben, hatten wir doch: das Handwerkliche, das reine Material, die Reduktion, auch aus Not?!
Ich denke, es gibt zwei Schienen. Die eine begreift das Gebäude als Rohstofflager. In Trier, an der Hochschule, wird das vom Lehrstuhl Petra Riegler-Floors vertreten, die kommt von der TU Wuppertal. Da wird den Studierenden beigebracht, Gebäude so zu entwerfen, dass man sie wieder zerlegen kann, dass man Teile davon weiterbenutzen kann. Ein extremer Standpunkt, ich würde immer erst einmal zusehen, dass das Gebaute möglichst lange hält. Schlecht ist es natürlich nicht, es nach 300 Jahren sortenrein trennen zu können.
Die andere Schiene ist eine prinzipiell andere Denke. Schaue ich in unser Büro, sehe ich die nächste, jüngere Generation. Die soll Verantwortung übernehmen. Die schauen ganz anders auf Nachhaltigkeitsthemen, durchaus pragmatischer, weniger ideologisch. Die diskutieren diese Themen, schulen sich. Ich bin da sehr, sehr gespannt, wie sich das bei uns entwickelt.
Wir machen viele Schulen, unter anderem auch in Gelsenkirchen, wo wir aktuell eine in Rekordzeit fertiggestellt haben. Vom Planungsauftrag bis zur Übergabe einer vierzügigen Grundschule mit Zweifachsporthalle: anderthalb Jahre! Das ging über eine spezielle Bauherrschaftkonstellation mit Generalunternehmer und so weiter. Die Schule wurde mit Stahlbeton realisiert, was Nachhaltigkeitsidealen jetzt gerade nicht entspricht. Wir würden das gerne, zusammen mit der Bauherrschaft, modifizieren, mit anderen Konstruktionen, mit anderen Materialien, auch mit Holz. Ein Baumaterial, das im Ruhrgebiet vielleicht nicht das klassische Baumaterial ist, und so verhalten waren auch die Reaktionen auf Bauherrnseite. Aber wir Architekten nähern uns einem Ideal, Schritt für Schritt. Die junge Mannschaft im Büro, die brennt dafür, die will das.
Brennen, etwas Neues auszuprobieren ... Waren wir nicht gerade beim Bauen im Bestand?
Okay. Stimmt. Ja, ich schwärmte gerade für Neubau, der aber ein Startpunkt sein könnte für Entwicklung. Denn schließlich muss man ja bauen, um das Bauen voranzubringen, oder? Vielleicht habe ich mich aber auch unklar ausgedrückt. Die meisten unserer Projekte sind eine kreative Auseinandersetzung mit dem Bestand. Schloss Bodelschwingh, da geht es tatsächlich um Reparatur und um kleine, gut abgewogene Einzelmaßnahmen. Es gibt andere Projekte, wo es um sinnvolle Umnutzung geht. Gerade Schulen, Bestandsschulen sind kaum in der Lage, heutigen Ansprüchen zu genügen. Unterricht heute ist etwas anderes, da muss man tiefer in den Bestand, durchaus auch mit kleineren Abrissen. Wir wollen aber keine Automatik, die am Ende immer irgendwas Neues in die Welt entlässt.
Stichwort Verzicht?
Das Stichwort Verzicht ist nicht schlecht, aber wir alle hadern damit noch. Verzicht geht wohl nur, wenn wir uns damit aktiv auseinandersetzen. Ganz klar ein gesamtgesellschaftliches Thema. Wir hatten vorhin bei dem Podcast über die Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf gesprochen. Wir wären schon viel weiter, wenn wir, auch was Energieverbräuche angeht, immer noch den Quadratmeterbedarf aus den 1950er-Jahren hätten.
Bauen im Bestand: Beratungsaufwand, Beratungspflicht gegenüber der Bauherrschaft?! Sehen Sie da Bewegung?
Ja, aber langsam. Wirklich ganz, ganz langsam. Natürlich treten immer noch Bauherrn an uns heran, die – gerade wenn sie im investiven Bereich tätig sind – nur den Neubau auf der Agenda haben. In Teilen ist da auch noch Bedarf. Wohnungsbau. Aber wir haben auch Bauherrn, die jetzt mit einer Bestandsimmobilie zu uns kommen. Hier geht es, neben Lage, Lage, Lage, fast immer um den besonderen Charme, den der Bestand hat und der den Bauherrn für sich eingenommen hat. Denn wenn jemand ein Gebäude nicht mag, dann wird es schwierig. Wir werden dann nach dem Potenzial gefragt, was man daraus machen könnte, wie es aussehen wird etc. Wenn wir hier nicht überzeugen, macht der Investor das nicht noch einmal.
Stichwort Charme: Sie arbeiten an der Altstädter Schule, nur ein paar Gehminuten von hier entfernt, ein Denkmal, ein wichtiger Bau von Otto Haesler. Was lernt man in der Arbeit mit einem so alten Gebäude?
Man lernt als Erstes, dass Demut nicht wehtut. Dass man als Architekt auch demütig sein darf vor dem, was andere gemacht haben. Das ist für die Denkmalpflege unverzichtbar und allgemein für das Bauen im Bestand ein hervorragender Ratgeber. Ich sollte das, was andere gemacht haben, schon in eigenem Interesse genießen können und für gut befinden. Das ist bei den Musikern oder den bildenden Künstlern auch so. Aber vor dem Genuss, der aus der Akzeptanz resultiert, muss ich verstehen können. Natürlich haben wir keine fertigen Rezepte, wir haben nur eine Methode, die mir sagt, wie wir arbeiten, wie ich mich mit einem Objekt auseinandersetze. Das halte ich für extrem wichtig. Und natürlich muss ich mir, wenn ich bei einem Punkt unsicher bin, eine Fremdmeinung einholen. Das ist doch nichts anderes als beim Arztbesuch: Ein guter Arzt fordert immer eine Kollegenmeinung ein, wenn er sich nicht sicher ist, bevor er rein auf Verdacht eine Diagnose stelllt, ein Rezept ausfertigt. Eine gründliche Bestandsaufnahme machen, unvoreingenommen, die Ergebnisse bewerten und den eigenen Standpunkt dazu klären. Dann erst fangen wir an, darüber nachzudenken, was wir mit dem Gebäude machen und wie wir es tun.
Okay, das ist das Vorher. Was lernen Sie aus dieser Arbeit für Ihre anderen, noch ausstehenden Projekte?
Da kann ich mich nur wiederholen: Keine Rezepte. K e i n e Rezepte. Eher Freude an und Neugier auf die Vielfalt und Individualität und die Qualitäten, die da drinnen stecken. Jetzt nehme ich noch ein anderes Beispiel: die Scharoun-Schule in Lünen. Als wir die das erste Mal gesehen haben, sah die nicht sonderlich gepflegt aus. Die war besprüht, die war zugewachsen, da hingen jede Menge Scobalit-Platten vor der Fassade. Es gab einen Wettbewerb für eine Machbarkeitsstudie, die von der Wüstenrot-Stiftung ausgelobt worden war. Wir hatten uns damals mit der Aussage beworben, dass wir kein Rezept hätten. Aber wir wüssten, mit welcher Haltung wir in die Arbeit gehen würden – wir hatten übrigens als die Teuersten angeboten. Nur an einer, einer einzigen Stelle hätten wir dann doch ein Rezept: bei den billigen Scobalit-Platten, die würden wir durch gewellte Isolierglasscheiben ersetzten. Da hätten wir eine Idee, wie das gehen könnte. Wir haben dann den Zuschlag bekommen, trotz dieses Rezepts. Am Ende haben wir die Platten erhalten, die Umsetzung unseres Rezepts wäre der größte Schwachsinn gewesen, was sich später erst herausgestellt hatte. Natürlich sind diese Platten schlecht, aber das macht nichts, weil sie für das Gebäude bauphysikalisch keine Relevanz haben. Auch bei der energetischen Sanierung haben wir den Scharoun, der jetzt nicht derjenige war, der besonders kompakt gebaut hat, gesamtenergetisch gerechnet. Heißt, wir konnten ihn an das vorhandene Fernwärmenetz anschließen, dessen Wärmeenergie umweltfreundlich produziert wird. Wir hatten das Stichwort ja auch auf dem Podium und im Podcast [s. u. www.denkmalpflege.niedersachsen.de] gerade eben: Systemgrenzen neu denken. Das haben wir in Lünen gemacht.
Zum Schluss – mein Zug geht in 15 Minuten –: „Systemgrenzen“ sind vielleicht auch Generationengrenzen: Wie appellieren Sie an die junge Bürogeneration? Was sollten die machen, was auf gar keinen Fall?
Es gibt einen wesentlichen Appell: Habt Spaß an dem, was Ihr macht. Ihr müsst eure Arbeit mit Freude machen. Ihr habt einen der schönsten Jobs, die es gibt. Der kostet viel Energie und Zeit und so weiter. Aber seht zu, dass Ihr die Freude am Planen und Bauen nicht verliert. Macht mehr Dinge, hinter denen Ihr stehen könnt und dann genießt das, was daraus entsteht. Und das Zweite ist, ja, setzt auf den Bestand, arbeitet mit ihm, lasst Euch inspirieren ... das ist nun mal eben so.
Mit Prof. Oskar Spital-Frenking unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft im Garten des Direktorenwohnhauses in Celle am 10. September 2023.