Aus der Rechtsprechung

Bei einer öffentlichen Vergabe ist alles umfassend zu dokumentieren!

VK Bund, Beschluss vom 06.06.2023 – VK 1-39/23

Der öffentliche Auftraggeber ist verpflichtet, die Gründe für die Auswahlentscheidung nach Überprüfung der Kalkulation zu dokumentieren. Die Bieter sind in der Kalkulation ihrer Preise grundsätzlich frei. Es ist den Bietern daher nicht schlechthin verwehrt, zu einem Gesamtpreis anzubieten, der lediglich einen Deckungsbeitrag zu den eigenen Fixkosten verspricht (Unterkostenangebote).

Der Sachverhalt:

Der Auftraggeber schrieb einen Rahmenvertag über Gebäudereinigungsdienstleistungen aus. Nach den Zuschlagskriterien war das Angebot mit dem niedrigsten Preis mit einer Gewichtung von 45 % zu werten. Höhere Preise erhielten einen prozentualen Abzug im Verhältnis zum niedrigsten Preis. Mit dem Angebot hatten die Bieter das Formblatt „Kalkulation des Stundenverrechnungssatzes über die Unterhaltsreinigung (werktags)“ vollständig ausgefüllt vorzulegen. Im Vorabinformationsschreiben teilte der Auftraggeber mit, dass das Angebot des Bieters A nicht berücksichtigt werden kann. Mitgeteilt wurde, in welchem Verhältnis das Angebot des Bieters A zum niedrigsten Preis sowie zum Wertungskriterium Leistung bewertet wurde. Das Angebot lag insgesamt auf dem vierten Rang. Der Zuschlag war auf das Angebot des Bieters B geplant. Bieter A rügte die Angebotswertung und beabsichtigte Zuschlagserteilung. Nach seiner Auffassung sei die Kalkulation der Jahrespreise der vor ihm platzierten Bieter teilweise nachweislich nicht auf Grundlage der gesetzlichen Mindestbedingungen und des Rahmentarifvertrages Gebäudereiniger-Handwerk erfolgt. Der Auftraggeber bat Bieter A und B daraufhin um zusätzliche Kalkulationsunterlagen sowie eine Stellungnahme zu einzelnen Punkten der Kalkulation vorzulegen. Bei den Bietern auf Rang 2 und 3 fand keine Aufklärung statt, jedenfalls wurde eine solche nicht dokumentiert. Nachdem beide Bieter fristgerecht antworteten, wies der Auftraggeber die Rüge des Bieters A zurück. Bieter B habe die Gesamtpunktzahl von 100 Prozentpunkten erreicht. Die Angebote der Bieter auf Rang 1 bis 3 seien auf Einhaltung aller gesetzlichen und tariflichen Vorgaben und auf Auskömmlichkeit geprüft worden. Bieter A stellte daraufhin einen Nachprüfungsantrag.

Die Entscheidung:

Mit Erfolg! Der Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet. Die Platzierung von Bieter A auf Rang 4 stehe der Antragsbefugnis nicht entgegen. Die in der Vergabeakte befindliche Aufklärung und Prüfung der Angebote enthalte nicht alle Informationen, die notwendig seien, damit die Vergabekammer die nach erfolgter Aufklärung und Überprüfung der Kalkulation der Angebote der Bieter auf Rang 2 und 3 ergangenen Zuschlagsentscheidung des Auftraggebers nachvollziehbar und im Ergebnis als vergaberechtsfehlerfrei beurteilen könne.

Der Auftraggeber sei verpflichtet, die Gründe für die Auswahlentscheidung nach Überprüfung der Kalkulation zu dokumentieren. Vorliegend habe der Auftraggeber aufgrund der Rüge des Bieters A eine Aufklärung bei Bieter A und B durchgeführt. Eine Aufklärung der Kalkulation der Bieter 2 und 3 der Bieterreihenfolge sei ausweislich der vorliegenden Vergabeakten nicht erfolgt. Die Aufklärungsantworten von Bieter A und B seien in der Akte handschriftlich (und überwiegend nicht lesbar) kommentiert worden. Wie der Auftraggeber die Unterschiede in der Kalkulation der Bieter einordne, gehe daraus nicht hervor. Ein abschließender, zusammenfassender Vermerk, der sich ferner mit den ausführlichen Äußerungen der Bieter A und B zu ihren Kalkulationen beschäftigt, sei nicht vorhanden. Im Ergebnis sei unklar, ob der Auftraggeber davon ausging, dass es sich beim Angebot des Bieters B nach der Aufklärung um ein auskömmliches Angebot handle, oder ob ein Unterkostenangebot vorläge und dieses zufriedenstellend oder nicht zufriedenstellend aufgeklärt worden sei. Dieses Dokumentationsdefizit habe der Auftraggeber, der im Nachprüfungsverfahren nur auf die Nichtabhilfemitteilung verwiesen habe, nicht beseitigt.

Praxishinweis:

Bei Unterkostenangeboten ist der öffentliche Auftraggeber gehalten, sorgfältig zu prüfen, ob eine einwandfreie Ausführung und Haftung für Gewährleistungsansprüche gesichert ist, und seine für die abschließende Entscheidung maßgeblichen Erwägungen so zu dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, wie die Überprüfung der Kalkulation vorgenommen wurde. Die Begründung muss alle Informationen enthalten, die notwendig sind, um die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers nachvollziehen zu können.

Die vorliegende Entscheidung veranschaulicht die elementare Bedeutung und Funktion der Dokumentation im Vergabeverfahren. Der Vergabevermerk muss ausreichend und plausibel dokumentieren, aufgrund welcher Umstände und Erwägungen die Bewertung der Angebote erfolgt ist. Zudem gilt es auch die Preisaufklärung und die Einordnung der Aufklärungsereignisse durch den Auftraggeber nachvollziehbar im Vergabevermerk belegen zu lassen. Versäumt der Auftraggeber dies, so sollte er im Nachprüfungsverfahren versuchen, die Dokumentation - im Rahmen des Zulässigen -  zu ergänzen und Dokumentationsmängel zu heilen. Gelingt dies nicht, besteht die erhebliche Gefahr eine möglicherweise rechts- und beurteilungsfehlerfrei getroffene Vergabeentscheidung im Nachprüfungsverfahren „allein“ wegen Dokumentationsmängel zu verlieren.

Grundsätzlich wird die Notwendigkeit einer umfassenden und nachvollziehbaren Dokumentation regelmäßig (und sehr zu Unrecht) vernachlässigt. Überprüfungsinstanzen neigen dazu, selbst scheinbar vollständige und umfangreiche Dokumentationen als nicht ausreichend zu beurteilen. Es empfiehlt sich daher, immer ALLES so zu dokumentieren (übrigens auch unterhalb der EU-Schwellenwerte!), dass ein Dritter ALLE Gedankengänge des Auftraggebers nachvollziehen kann.

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