Bestehendes konservieren

Austragshaus am Schedlberg, Arnbruck

Ein unter Denkmalschutz stehendes Waldlerhaus wird zum Abriss freigegeben. Dass es heute erhalten ist, verdanken wir Architekt Peter Haimerl, der die regionale Bauweise des Bayrischen Walds mit neuen Materialen verbindet, um Tradition zu bewahren.

Im Bayerischen Wald fällt mit Ausnahme einiger Leuchtturmprojekte das Verschwinden der regionalen Bauweise ins Auge. Ein Grund könnte darin liegen, dass das Waldlerhaus kein in Typologie und Form definierter Bautyp ist, sondern die Wohn- und Arbeitsstätte der Menschen umschreibt, die im und vom Wald lebten. Ein Haus, zweckmäßig nach Nutzungsanforderungen geplant und mit dem im Bayerischen Wald zur Verfügung stehenden Material Holz und Granit gebaut. Dabei sind Variation und Improvisation die Konstante zwischen den Häusern. Der stetige Umbau, das Weiterbauen durch die Anpassung des Bedarfs, die partiellen Eingriffe sind kein Manko, sondern immer als Zwischenzustand gelebt. Wo keine Zeit und Geld für überflüssiges Zierwerk war, zählt die Qualität des soliden Handwerks, die auch nach vielen Jahren Leerstand noch überdauert. „Der Wert des Bauwerks lag nicht in der Perfektheit der Ausführung und der Einhaltung der Konventionen, sondern in der Lässigkeit, die partiellen Eingriffe und die strukturelle Durchgängigkeit zu vereinen“, beschreibt Architekt Peter Haimerl die Besonderheiten seiner Heimat und fährt fort: „Dabei entstanden charakterstarke Häuser, die einen Bewohnertyp widerspiegeln, der sich weder für Erwartungshaltungen noch Klischees interessiert. Das kann auch unangenehm sein.“

Freigegebenen Abriss erhalten
Vom Austragshaus am Schedlberg, ein gebauter Holzblockbau mit Granitsockel, war Architekt Peter Haimerl bei der ersten Besichtigung 2009 sofort begeistert. Aufs Wesentliche runtergestrippt stand nur noch das da, was die Tragstruktur ausmachte: der Stall aus schweren Granitblöcken, die Zimmermannskonstruktion und ein Teil der Hüllstruktur um die alte Stube. Der Rest war weggebrochen, im Innenraum haben die Kühe, die sich das Haus in den 40 Jahren Leerstand angeeignet haben, ganze Arbeit geleistet. „Mich interessiert das Hier und Jetzt“, erklärt Haimerl den Reiz der Aufgabe. „Man kann viel mehr sichtbar machen, man muss nicht über Deckenhöhen diskutieren, wo keine Originaldecke mehr da ist. Der Schwebezustand der Entmaterialisierung ist das Momentum.“

Das 1839 erbaute Austragshaus liegt an einer Waldlichtung zwischen dem heute noch bewirtschafteten Bauernhof und dem hauseigenen Granitsteinbruch. Der Übergang von der Kultur zur Natur ist deutlich sichtbar in den bearbeiteten und mittlerweile bemoosten Granitblöcken, die ein Stück hangaufwärts in schweres Geröll übergehen. Anstelle des von den Behörden freigegebenen Abrisses wurden die Spuren der Umbauten in Schichten freigelegt und radikal überformt. Das Konzept ist einfach und komplex zugleich. Die Bauteile, die die Jahrzehnte überdauerten, werden in ihrer Unperfektheit konserviert, während fehlende Elemente mit neuen Materialien weitergebaut werden. Wie zum Beispiel die erhaltenen Holzschindeln an der Fassade, deren Anordnung nach Verfügbarkeit eine Kunstform für sich ist. Oder die alten Granitwände, die früher den Stall umschlossen haben und in ihrer Rohheit einen angenehmen Kontrast zu den neuen Einbauten bilden. Auf 180 m² Wohnfläche sind nun drei Zimmer verteilt, der ehemalige Stall ist nun das Badezimmer, die Speisekammer im ehemaligen Kartoffelkeller kühlt die Speisen.

Tragstruktur mit Neuem ergänzen
Auch bei diesem Umbau, wie zuvor schon das Bauernhaus der Bäuerin Cilli Sigl in Viechtach, kommt Beton als Teil der Tragstruktur und zugleich gestaltbildendes Element zum Einsatz. In Anlehnung an die bereits bearbeiteten Granitblöcke ersetzen gleichförmige, 43 x 43 cm dicke in unterschiedlich lange Betonelemente aus Leichtbeton die Fehlstellen in der Gebäudehülle, gesetzt nach einem ausgeklügelten Überlagerungsraster. Die Schwere des Betons wird von der gezielten Setzung der Glasflächen kontrastiert. Zugunsten des Ausblicks, aber auch um der Leichtigkeit der Entmaterialisierung zu entsprechen – ohne Stützen, was die Finesse der Statiker unterstreicht. Die Belegung der Innenräume richtet sich nach den ursprünglichen Raumaufteilungen, die Stube ist der Mittelpunkt des Hauses, während die ehemalige Tenne zum freien Denkraum wird. Die Verwendung einiger weniger Materialien zeigt die Verwurzelung mit der Tradition. Der sichtbare Raum kann in verschiedenen Schichten durchdrungen und durch die Einbeziehung des naheliegenden Walds vom physischen in einen imaginären Raum erweitert werden.

Traditionelle Bauweise abstrahieren
„Holzbau, wie wir ihn heute einsetzen, hat mit dem regionalen Bauen von früher nichts mehr zu tun. Das Holz wird industriell nach EU-Vorgaben mit moderner Technologie wie CNC-Fräsen verarbeitet“, räumt Haimerl mit einem Missverständnis in unserer Wortwahl auf. Regionales Bauen darf für ihn nicht nur auf sichtbare Materialien und Bauformen heruntergebrochen werden, sondern muss auf einer strukturellen Ebene betrachtet werden, mit den Mitteln, die in der Gegenwart zur Verfügung stehen. „Wir leben längst virtuell. Wenn wir auf traditionelle Waldlerhäuser schauen, ist eine Ebene des guten Handwerks sichtbar, aber interessanter sind doch die übergeordneten Elemente. Für den Bauern ist der Verfall das Ende der Entwicklungskette. Aus einer philosophischen Betrachtungsweise – vom Entstehungsprozess, dem Werdegang, der Alterung, der Anpassung an die Natur und dem Verfall als Übergang in eine andere Sphäre – spürt man erst, was die Häuser ausmacht. Die Bauten sind ein Kulturprodukt, das aus Naturelementen entstanden ist, welche verfeinert, abstrahiert, intellektuell und intelligent eingesetzt wurden. Im Verfall setzt ein interessanter, labiler Zustand ein. Hier wird es für mich interessant, wenn das Haus dabei ist, seine Seele zu zeigen.“

Bausubstanz archäologisch gesichert
Die Wertschätzung für Baukultur ist nicht selbstverständlich. Selbst die Denkmalpflege musste feststellen, dass der Hebel zu einem Umdenken im Wecken von Begehrlichkeiten liegt. Der Ansatz von Peter Haimerl ist auch denkmalpflegerisch eine gute Methode, weil die alte Bausubstanz archäologisch gesichert wird. Das Ruinöse wird nicht beseitigt oder rekonstruiert, sondern als Wert definiert, an den angeknüpft wird. Der Kontrast der Materialwahl und der radikale Sprung in die heutige Zeit durch Interpretation ist die Legitimation fürs Weiterbauen. Dass dies ein Erfolgsrezept sein kann, zeigt das Projekt am Schedlberg. „Das Austragshaus wird von der Familie, bei der das Haus für 35 Jahre gepachtet wurde, und von der Bevölkerung sehr gut angenommen. Der Mehrwert ist nicht materiell, sondern zeigt sich in Form einer neuen Sichtweise – die es braucht, Gebäude mit Geschichten und Charme zu retten.“

Baudaten                                                                                                                                     Objekt: Schedlberg
Standort: Schedlhof 2, 93471 Arnbruck
Typologie: Denkerhaus
Bauherr: HAUS.PATEN BAYERWALD KG                                                                             Nutzer: HAUS.PATEN BAYERWALD KG
Architekt/Bauleitung: Peter Haimerl . Architektur, München, www.peterhaimerl.com
Mitarbeiter (Team): Peter Haimerl, Jutta Görlich, Ulrich Pape, Tomo Ichikawa, Max Hartinger, Verena Höß
Bauzeit: 05.2014 – 12.2018
 
Fachplaner                                   Tragwerksplaner: a.k.a. ingenieure, München, www.aka-ingenieure.de
TGA-Planer: Ingenieur Consult ddk GmbH, München
 
Projektdaten                                 Grundstücksgröße: 500 m²                                         Nutzfläche gesamt                          Nutzfläche: 180 m²
Baukosten (nach DIN 276)
KG 200 (brutto): 3.600 €
KG 300 (brutto): 36.0000 €
KG 400 (brutto): 72.000 €
KG 500 (brutto): 6.000 €
KG 700 (brutto): 78.000 €
 
Haustechnik
Die Wärmeversorgung erfolgt über Fernwärme mit Pufferspeicher und Temperieranlage. Der hydraulische Abgleich erfolgt automatisch über die Rücklauftemperaturbegrenzer.
 
Hersteller
Dachziegel: Erlus AG, www.erlus.com
Fenster: Metalltechnik Gilch GmbH & Co. KG, www.mg-esprit.de
Fassade: Joseph Zankl GmbH, www.bau-zankl.de

„Neue Einbauten aus Glas und Beton dominieren den Bestand, ohne ein neues Ganzes, Drittes zu bilden – das Projekt zerfällt in zwei Hälften. Das Dach erscheint ohne Halt, das Auflager der Firstpfette im Giebel als ironischer Kommentar. Innen hingegen ergeben sich schöne Synergien aus Natursteinboden, Putzresten und Sichtbeton in den Bereichen, in denen die Fragmentierung zurückgenommen wurde. ‚Restriktion’ erscheint hier zu einem besseren Ergebnis zu führen als ‚Attraktion’.“ DBZ Heftpate Matthias Reese

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