Deutungshoheit gewonnen
Warum schon wieder eine Buchrezension zu Cy Twombly? Vielleicht, weil das Werk des Amerikaners so sehr aus der europäischen Kulturgeschichte saugt? Vielleicht, weil Twombly Architekten zur Architektur wie zu Bauten für seine Kunst angeregt hat? Und weil er selbst Architektur in sein Werk gezogen hat, wie Räume der Collection Lambert in Avignon oder Teile des Louvre in Paris. Aber noch aus einem anderen Grund lohnt die Lektüre gerade des aktuell erschienen Buchs. Denn über alles respektvolle Kratzen am Hermetischen von Twomblys Kunst gelingt es dem Autor trotz aller komplizierter Syntax und teils lästigem Kunstgeschichtlerjargon, uns Lesern das Gefühl zu geben, wir hätten hier zum ersten Mal etwas Wesentliches verstanden. Nämlich, welche Wendungen im Werk wie zustande kamen, welche inneren Verbindungen die Werkgruppen zusammenfassen und dass es dem Künstler wesentlich darauf ankam, die mehr und mehr von der Poetik und Poesie gereinigten Welt wieder mit Sinnlicht aufzuladen.
Der Titel der reich bebilderten Wanderung durchs Werk spielt auf einen Satz von John Crowe Ransom an, den Twombly für sein Arbeiten als programmatisch definierte: „The image cannot be dispossessed of a primordial freshness which ideas can never claim“. Was nichts anderes heißt, als dass die Deutungshoheit beim Betrachter liegt. Dessen wackligem Point de vue geben die hier versammelten Perspektiven den nötigen Halt angesichts der schier überwältigenden Tiefe der Arbeiten, die so entgrenzt wie zugleich so kontextuell wirken. Eine spannende Reise ins ursprüngliche Ursprüngliche. Be. K.
Thierry Greub, Das ungezähmte Bild. Texte zu Cy Twombly. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2017, 388 S., 23 sw- u. 210 Farbabb.,
79 €, ISBN 978-3-7705-6198-8
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Niklas Maak, Leanne Shapton, Durch Manhattan. Hanser, München 2017