Schaufenster zur Forschung

Neubau Biomedizinische ­Forschung (BMF) an der ­Universität zu Lübeck

Statt im stillen Kämmerlein ohne Ein- und Ausblicke zu forschen, gibt am BMF in Lübeck ein großes Schaufenster Einsicht in die Aktivitäten vor Ort. Der Wunsch nach Transparenz, hier umgesetzt über den hohen Einsatz des Materials Glas, ermöglicht den steten Perspektivwechsel – Grundvoraussetzung für den Erfolg in der Forschung.

Die Erkenntnisse eines Strukturvirologen hätten bei uns vor ein paar Monaten nur ein müdes Kopfschütteln hervorgerufen. Zu komplex, zu fachspezifisch, allenfalls für eine kleine Expertenschar von Interesse. Mit der Corona-Pandemie ist die Forschung in unserem Alltag angekommen. Das zeigt, wie wichtig der Erkenntnisgewinn daraus ist. So ist es mehr als eine Randnotiz, dass ein Teil der internationalen Forschung an
Coronaviren in Lübeck passiert – und zwar im kürzlich fertiggestellten Neubau Biomedizinische Forschung (BMF) von hammeskrause architekten.

Dass eine neue Wissenschaftskultur auch baulich neue Räume erfordert, war lange nicht im Fokus der Architekturdebatte. Zu sehr hat sich in den Köpfen die Vorstellung vom Forscher im Elfen­beinturm festgesetzt. Forschungsbauten müssen im Laufe der Zeit immer wieder auf neue programmatische, strukturelle und funktionale Anforderungen reagieren. Außerdem ist keine andere Gebäudetypologie durch den hohen Anteil an technischer Ausstattung so teuer in Investition und Betrieb wie der Forschungsbau. Die Folgen sind daher meist klassische Strukturen aus einer Anordnung von hoch installierten Laboren und niedrig installierten Büroflächen in optimaler Flächenausnutzung. Wir waren schon mal weiter. Um 1750 zeigt die nie verwirklichte Vision einer Universität von Giovanni Battista Piranesi die ideale Verknüpfung der verschiedenen Funktionen einer Lehr- und Forschungsanstalt, die alle Aspekte des Lebens beinhaltet. Seit ein paar Jahren ist jedoch ein Umdenken deutlich sichtbar in neuen Raumkonzepten abzulesen. Denn gute Ergebnisse in der Forschung stehen in direktem Zusammenhang mit guter Wissenschaftsarchitektur. Architektur kann eine Umgebung schaffen, die Ideen im Kopf und zwischen den Disziplinen fließen lässt. Durch offene Strukturen in den vorhandenen Flächenangeboten, aber auch bei Zufallsbegegnungen auf informellen Kommunikationsebenen.

Die Anforderungen für den Neubau Biomedizinische Forschung (BMF) sind komplex. Acht Institute und fünf Technologieplattformen aus der Entzündungsforschung sind räumlich im Neubau zu vernetzen. Benötigt werden Bereiche für die Grund­lagenforschung und angewandte Forschung, biomedizinische, chemische und experimentelle Labore sowie Sicherheitsbereiche mit S3-Laboren (inklusive Schleuse und eigenem Luftkreislauf). Den spezifischen Anforderungen der verschiedenen Nutzergruppen von Medizin bis Wissenschaft ist ebenso Rechnung zu tragen wie dem Wunsch nach Flexibilität. Außerdem schließt der Neubau des BMF direkt an das bereits gebaute „Centre of Brain, Behavior and Metabolism“ (CBBM) an, so dass die Forscher nicht nur fachlich im engen Austausch stehen.

Offene Räume entwickeln

Eine Herangehensweise wäre, die technischen und organisatorischen Anforderungen gegeneinander abzuwägen und in gebauten Raum zu übersetzen. Der andere Weg, den das Büro hammeskrause präferiert, ist der des Zuhörens. „Wir nehmen uns die Zeit, das Umfeld und die Arbeitsweise der Nutzer zu verstehen, bevor mit der eigentlichen Entwurfsplanung begonnen wird“, erklärt Markus Hammes den Prozess. Es gilt, die engen Grenzen aus räumlichen Vorgaben vonseiten des Bauherrn, meist eine Mischung aus Länder- und Bundeshoheit, mit den Vorstellungen der Forschungsnehmer auszuloten und den inter­disziplinären Forschungsansatz in eine räumliche Übersetzung zu bringen.

Die Kubatur des Neubaus setzt im heterogenen Umfeld einen Ruhepunkt. Der städtebauliche Entwicklungsplan, der auch von hammeskrause architekten entwickelt wurde, sieht eine zentrale grüne Achse auf dem Campus vor, entlang der sich die neuen Hochschulbauten unterordnen und durch deren Ausrichtung und Körnung das Areal strukturieren. Wo bislang noch ein Parkplatz für die Mitarbeiter liegt, wird in Zukunft die Campusmitte mit einem attraktiven Angebot an Grün- und Freizeitraum ergänzt. Das ist auch der Grund, warum der Haupteingang des BMF sich zur zentralen Grünachse ausrichtet und nicht – wie das CBBM – zur anliegenden Marie-Curie-Straße.

Der Wunsch der Stiftungs-Universität nach Transparenz und Offenheit zeigt sich im geschosshoch verglasten Erdgeschoss. „Der Zugang in die Gebäude kann sowohl von außen, aber auch innerhalb der Gebäude über die großen Foyers erfolgen. Die Atrien sind als Treffpunkte konzipiert. Das ist eine große Chance für spontane informelle Gespräche der Wissenschaftler, um Hypothesen, Versuchsansätze und Ergebnisse interdisziplinär und arbeitsgruppenübergreifend zu diskutieren. Das bringt Forschung weiter,“ ist die Meinung der Architekten. Der nahtlose Übergang in das durch eine nur für Insider erkennbare Fuge direkt anschließende CBBM war bereits zu Beginn der Planungen so angelegt. Die große offene Treppenskulptur gibt einerseits Orientierung und dient zugleich als Verknüpfung der offenen Kommunikationszonen, die man sich je nach Bedarf unabhängig von den Forschergruppen aneignen kann. Das kann der Kicker auf der einen Ebene oder die Lounge eine Etage drüber sein. Der Vorteil liegt auf der Hand: Was im Raumprogramm als reine Verkehrsfläche ausgewiesen ist, erweist sich in der Realität als multifunktional nutzbare Raumreserve.↓

Homogene Glashaut umhüllt die Kubatur

Um eine maximale Flexibilität für die sich immer wieder neu gruppierenden Forschungsgruppen zu erreichen sowie diese für alle nutzbaren Funktionsflächen sinnvoll zu arrangieren, sind die Obergeschosse strukturell identisch aufgebaut. Hoch installierte Bereiche stapeln sich übereinander, um einen wirtschaftlichen Betrieb zu garantieren. Auswerteplätze, Arbeitsplätze und geräteintensive Zonen sowie Lager- und Dunkelzonen fügen sich zu modular aufgebauten Laborclustern. Das schafft ein Konzept der kurzen Wege und optimierter Arbeitsabläufe, das auch auf veränderte Forschungsbedingungen flexibel reagieren kann. Die dadurch gewonnenen Freiheiten zeigen sich in der Mischung aus Büro- und Kommunikationsflächen, die vielfältige Einblicke, auch über die Etagen hinweg, ermöglichen. Diese Offenheit im System war auch für die Forscher im BMF zuerst Neuland. Doch die Vorteile der informellen Kommunikation zeigen sich schnell in der neu formierten Community und den daraus entstehenden Sonderforschungsbereichen. Die Büroflächen liegen mit wenigen Ausnahmen direkt an der Außenfassade, um das Tageslicht optimal zu nutzen und eine natürliche Be- und Entlüftung zu ermöglichen. Lediglich an der Nordfassade kehrt sich das System um. Die bislang nach innen orientierten Laborcluster öffnen sich zur zentralen Achse und ermöglichen durch die individuellen Anordnungen der Arbeitsgruppen direkten Einblick in die Forschungslandschaft. Die Flexibilität des Flächenangebots bildet sich in der vorgehängten filigranen Pfosten-Riegel-Konstruktion nachdrücklich ab. Unabhängig von den Nutzungsmöglichkeiten hinter der Fassade umhüllt eine homogene Glashaut die Kubatur. Für die Fassade des BMF wird die bestehende Optik des CBBM mit einer horizontalen Bandstruktur fortgesetzt. Jeweils zwei Bänder sind verglast und mit integrierten Öffnungselementen versehen, während das dritte Band als opake Füllung konzipiert ist. Auf diese Weise wird die für den Forschungsbau notwendige Haustechnik ins gestalterische Konzept integriert und ermöglicht zudem eine wohltuende Hierarchielosigkeit der Räume hinter der Fassade. „Die horizontale Gliederung ist der Entwicklung des Gebäudes von innen heraus geschuldet“, erklärt Markus Hammes, „wir schnüren sinnbildlich die interdisziplinären Forschergruppen innerhalb des Volumens mit den Bändern zusammen, geben ihnen somit Halt und zeigen die Vielfalt der Forschung über die vertikalen Lichthöfe.“ Lediglich für die Nordfassade wird die Bänderung unterbrochen. Zugunsten der Idee des überdimensionalen Schaufensters ist diese Seite als geschossübergreifende Verglasung ausgeführt.↓

Forschung transparent machen

Der Neubau des BMF spiegelt auch ein neues Selbstverständnis von Forschung wider. Komplexe Versuchsaufbauten, abgeschirmte Labore mit Zugangskontrolle und hohen Anforderungen an Sicherheit erfordern von der Forschung ein hohes Maß an Introvertiertheit. Zugleich ermöglicht das Material Glas und dessen plastischer Einsatz Transparenz auf mehreren Ebenen. Funktional und gestalterisch im Sinne des Ausblicks, der Verortung, der Tageslichtnutzung bis in große Gebäudetiefen und des Wohlbefindens der Forscher. Aber auch im Sinne eines Bildungsauftrags. Ziel: Über die Einblicke in sonst verschlossene Welten das Erlebbarmachen von Spitzenforschung zu ermöglichen und idealerweise das Interesse zukünftiger Generationen für die Wissenschaft zu wecken. Hier schließt sich auch wieder der Kreis zur Corona-Forschung. Anstelle dem Ruf ins Ausland zu folgen, entschied sich der renommierte Forscher Professor Rolf Hilgenfeld für eine Fortsetzung seiner Arbeit in Lübeck – im frisch fertiggestellten BMF sind die Bedingungen für Spitzenforschung nahezu optimal. Eva Maria Herrmann, München

Die vier Atrien in diesem großen Forschungszentrum veranschaulichen sehr gut, wie wir Tageslicht in die Tiefe der Gebäude bringen wollen und hierfür mit Zenitlicht arbeiten.«

DBZ Heftpartner hammeskrause architekten, Stuttgart

Baudaten

Objekt: Neubau BMF-Biomedizinische Forschung der Universität zu Lübeck

Standort: Marie-Curie-Straße, Lübeck

Typologie: Forschungs- und Laborgebäude / Wissenschaft, Forschung und Bildung

Bauherr: Land Schleswig-Holstein, vertreten durch Gebäudemanagement Schleswig-Holstein AöR (GMSH)

Nutzer: Universität zu Lübeck – Zentrum für Infektion und Entzündung, Zentrum für Klinische Forschung

Architekt: hammeskrause architekten bda,

www.hammeskrause.de

Mitarbeiter (Team): Rainer Jöst, Christiane Weidenbach, Nicole Steinbach-Falch, Jacqueline Dörner

Bauleitung hammeskrause architekten bda: Karina Wahrmann, Jürgen Warnecke, Oda Witte,

Martin Grebniok, Magdalena Wobbe

Bauzeit: Juli 2015 – April 2020

Fachplaner

Tragwerksplaner: Mathes Beratende Ingenieure GmbH, Dresden, www.ming.de

TGA-Planer: CRC Clean Room Consulting GmbH, Freiburg, www.crc.de

Akustikplaner: Akustik Ingenieurbüro Moll GmbH, Berlin, www.mollakustik.de

Landschaftsarchitekt: Siller Landschaftsarchitekten BDLA, Kiel, www.la-siller.de

Brandschutzplaner: Halfkann + Kirchner Sachverständigenbüro Brandschutzingenieure, Berlin,

www.hk-brandschutz.de

Bauphysik: Mathes Beratende Ingenieure GmbH, Chemnitz, www.ming.de

Projektdaten

Bebaute Fläche BMF: 3 000 m²

Nutzfläche gesamt: 14 084 m²

Nutzfläche: 1-7: 7 426 m²

Technikfläche: 2 077 m²

Verkehrsfläche: 4 582 m²

Brutto-Grundfläche: 15 710 m²

Brutto-Rauminhalt: 61 721 m³

Baukosten (nach DIN 276)

KG 200 (brutto): 0, 735 Mio. €

KG 300 (brutto): 24,82 Mio. €

KG 400 (brutto): 24,64 Mio. €

KG 700 (brutto): 0,42 Mio. €

Gesamt brutto:  50,62 Mio. €

Hauptnutzfläche: 6 817 €/m²

Brutto-Rauminhalt: 820 €/m³

Energiebedarf

Primärenergiebedarf: 115 kWh/m²a nach EnEV 2014

Endenergiebedarf: 187 kWh/m²a nach EnEV 2014

Jahresheizwärmebedarf: 139 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2014

Fernwärmenetz versorgt BMF, 87 % der Fernwärme wird durch Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt

Gebäudehülle

U-Wert Außenwände gegen Erdreich = 0,17 W/(m²K)

U-Wert Metallfassade Technikeinhausung auf Stahlunterkonstruktion 4. OG = 0,24 W/(m²K)

U-Wert Bodenplatte Untergeschoss = 0,17 W/(m²K)

U-Wert Dachterrasse 4. OG = 0,14 W/(m²K)

Uw-Wert Fenster:

Vorhangfassade Nordseite 1. bis 3. OG:

Verglasung: Drei-Scheiben-Sonnenschutz-Isolierverglasung

Vorhangfassade: Ucw ≤ 0,90 W/(m²K)

Gesamtenergiedurchlassgrad: g ≤ 0,40

Vorhangfassade Ost- und Westfassade, Nordfassade EG und 4. OG:

Verglasung: Drei-Scheiben-Sonnenschutz-Isolierverglasung

Vorhangfassade: Ucw ≤ 0,70 W/(m²K)

Gesamtenergiedurchlassgrad: g ≤ 0,40

Fensterelemente:

Verglasung: Drei-Scheiben-Sonnenschutz-Isolierverglasung

Vorhangfassade: Uw ≤ 1,00 W/(m²K)

Gesamtenergiedurchlassgrad: g ≤ 0,40 (Außenliegender Sonnenschutz mit Fc-Wert ≤ 0,25)

Uw-Wert Sheddach und Glasdach = 0,90 W/(m²K), Energiedurchlassgrad g = 0,24

Ug-Wert Verglasung = 0,5 W/(m²K)

gtotal (Gesamtenergiedurchlassgrad der Verglasung inkl. Sonnenschutz) variiert. gtotal = 6 − 12 % (nach Rücksprache mit Mathes Ingenieure)

Luftwechselrate n50 = 4,0/h

Fc-Wert = 0,49

Das BMF-Gebäude (Labore nicht eingerechnet) erreicht durch die Materialwahl quasi Passivhaus-Standard

 

Gebäudetechnik

Lüftung und Kühlung

Atrium: automatische, erhöhte Nachtlüftung über Fenster/ Oberlichter (n = 2,0 1/h gem. DIN 4108-2), Lüftung tagsüber erfolgt in Abhängigkeit der geschossweise sensorisch überwachten Luftqualitäten und Raumtemperaturen. Kühlung weder passiv noch aktiv vorhanden

Büro: automatische, erhöhte Nachtlüftung über mechanische Lüftungsanlage (n = 1,8/h), die Lüftung tagsüber erfolgt mittels Lüftungsanlage (n = 1,8/h) sowie im Bedarfsfall über die Fenster

Labor: automatische, erhöhte Nachtlüftung über mechanische Lüftungsanlage (n = 8,0/h), die Lüftung tagsüber erfolgt mittels Lüftungsanlage (n = 8,0/h), eine passive Kühlung ist nicht vorhanden

Hersteller

Oberlicht: VELUX, www.velux.de

Dach-Dämmung/Abdichtung: Paul Bauder GmbH & Co. KG, www.bauder.de

Fenster: Schüco International KG, www.schueco.com

Lamellenfenster: EuroLam GmbH, www.eurolam.de

Glas: Saint-Gobain, www.saint-gobain.de

Fassade: Schüco International KG, www.schueco.com

Fassade F90: Jansen, www.jansen.com

Dämmung: Knauf, www.knaufinsulation.de,

Rockwool, www.rockwool.com

Sonnenschutz/Blendschutz: Schüco International KG, www.schueco.com, WAREMA Renkhoff SE,

www.warema.de

Brandschutz-Türen/Tore: Jansen,www.jansen.com, Buchele GmbH, www.buchele.de, Teckentrup GmbH & Co. KG, www.teckentrup.biz, Hörmann KG Verkaufsgesellschaft, www.hoermann.de, Lindner, www.lindner-group.de

RWA-Anlage: D+H, www.dh-partner.com

Zutrittssysteme: IntraKey technologies AG,

www.intrakey.de

Teppich: Forbo Flooring GmbH, www.forbo.com

Kautschukboden: nora systems GmbH,

www.nora.com

Parkett: Bembé, www.bembe.de

Natursteinboden: REBER Handelgesellschaft mbH

Sanitär/Fliesen: KERMOS, www.kermos.de

Trockenbau: Knauf, www.knauf.de, Lindner, www.lindner-group.com

Beleuchtung: BEGA Gantenbrink-Leuchten KG, www.bega.com, TRILUX Holding GmbH, www.trilux.com,

Schmitz-Leuchten GmbH & Co. KG, www.schmitz-wila.com, LTS Licht & Leuchten GmbH,

www.lts-light.com

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