Spät entdeckt
Es sei ihm ein „seltsames Buch“ gewesen, damals, als der Autor des hier vorliegenden Buchs noch Student war und man ihm geraten hatte, sich den Neufert zuzulegen. Was er damals nicht gemacht hatte, die hohen Anschaffungskosten hinderten wohl, aber auch das eigentümliche Gefühl, diese Bauentwurfslehre mit ihren Entwurfsgrößenstandards passe so gar nicht zu dem Berufsverständnis eines kreativen Entwerfers, der allein seiner Genialität Verantwortung schulde und sonst niemandem.
Das ist nun länger her, dem Autor kam eine Neufert-Ausgabe aus den 1940er-Jahren in die Hände und Fragen kamen auf. Die nach einer Kontinuität, nach dem Ursprung, der Absicht, der Wirkungsgeschichte dieses Buches, das bis heute als „der Neufert“ in keinem Regal eines (nicht nur deutschen) Architekturbüros fehlt. Die 1936 erstmals erschienene „Bauentwurfslehre“ des Bauhaus-Schülers Ernst Neufert ist tatsächlich bis heute in unzähligen Neuauflagen und Übersetzungen ein weltweit viel (gebrauchtes?) verbreitetes Standardhandbuch für entwerfende ArchitektInnen und damit allemal wert, genauer untersucht zu werden.
Allerdings geht es dem Autor vordergründig gar nicht um „den Neufert“, seine trotz aller offensichtlichen Systematik ausufernde Untersuchung geht vielmehr der Frage nach, ob die modernen Handbücher seit dem 18. Jahrhundert tatsächlich das Bauen beeinflusst haben und wenn ja: wie?! Deutlich wendet sich die Arbeit von der vielfach gepflegten biografisch orientierten Architekturgeschichte ab, die Arbeiten modern denkender Sammler und Manualisten stehen im Vordergrund. Dass dabei dennoch der Mensch Ernst Neufert aufblitzt, auch seine Eigenarten, seine Erfindungen, seine Rezensionen und Vortragsarbeiten eine Rolle spielen und dann doch die – allerdings spät im Buch platzierte – Analyse der BEL auftaucht, kann nicht überraschen: Ohne Neufert als soziale Person ist seine Arbeit nicht zu verstehen.
Dass am Ende eine Antwort geliefert würde, damit sollte niemand rechnen und tatsächlich endet der Schwung der teils sehr breit angelegten wie zugleich gut lesbaren Arbeit urplötzlich im Schlusswort, in welchem wir aufgefordert werden, an dieser Stelle weiterzuforschen. Es folgt ein umfangreicher Anhang mit Literatur von und über Neufert, es gibt Editionsübersichten der BEL, auch für die fremdsprachigen Ausgaben, es gibt die Sekundärliteratur. Überraschenderweise fehlt ein Namensregister und so konnte der Rezensent manchen Verweis auf Autoren und Akteure am Ende nicht mehr nachvollziehen für diese Rezension. Dass wir das Buch so spät entdeckt haben ist, nach der Lektüre, ein unverzeihlicher Fehler, den wir hoffentlich hier korrigieren konnten. Be. K.