Umbau Sihlpost, Zürich
Das modernste Verteilzentrum Europas: Das war die Sihlpost der Gebrüder Bräm, die sie 1928 – 30, damals noch vor den Toren der Stadt, in nächster Nähe zum Zürcher Hauptbahnhof erstellten. Heute bildet das markante Volumen den Auftakt zum neuen Stadtteil Europaallee. Im Zuge der aktuellen Bautätigkeit wurde es 2014/15 von Max Dudler mustergültig instandgesetzt.
Eine monolithische Eisenbetonkonstruktion von 123 m Länge, aber ohne Dehnfugen, 800 Fenster, ein neuartiges Tragwerk des Brückenpioniers Robert Maillart – mit der Eröffnung der Sihlpost hatten die Schweizerischen Bundesbahnen SBB und die Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe PTT als Bauherrschaften Maßstäbe gesetzt. Der rechteckige Riegel in Nord-Süd-Ausrichtung am Ufer der Sihl diente den beiden Bundesbetrieben als Bürogebäude. Im Erdgeschoss und in den ersten beiden Obergeschossen befand sich die Zürcher Hauptpost.
Erbauer waren die Brüder Adolf und Heinrich Bräm, die sich seit der Bürogründung 1911 mit erfolgreichen Wettbewerben für öffentliche Gebäude in Zürich einen Namen gemacht hatten. Die Sihlpost, ein Direktauftrag, markierte einen Wendepunkt in ihrem Schaffen: Weg vom Neoklassizismus, hin zu einer „verhaltenen Moderne“. Und das auf eindrückliche Weise: Neben der beeindruckenden Länge des sechsgeschossigen Baus stach der 36,5 m hohe nördliche Treppenturm mit dem Leuchtstoffröhren-Schrift-
zug „POST“ schon von weitem ins Auge. Die strengen Fassaden betonten die Horizontale: Brüstungsbänder aus Beton wurden akzentuiert durch Fenstersimse aus Mägenwiler Muschelkalk, Fassadenpfeiler zwischen den mit den Geschosshöhen variierenden Fenstern rhythmisierten die Ansicht.
Auch heute hat der Bau europäische Bezüge, wenn auch zur zürcherischen Version. 2003 gab die SBB 78 000 m² Fläche an ehemaligen Gleisanlagen beim Hauptbahnhof für die Stadtentwicklung frei. Entstehen sollte ein neues Quartier nach einem Masterplan von Kees Christiaanse: die Europaallee mit über 6 000 Arbeitsplätzen, 1 800 Studenten der Pädagogischen Hochschule Zürich und Wohnungen für 1 200 BewohnerInnen. Max Dudler konnte 2009 den Wettbewerb für das an die Sihlpost grenzende Baufeld A für sich entscheiden. Hier steht seit 2012 ein Ensemble aus Pädagogischer Hochschule, Einkaufspassage und Bürogebäude. Gemeinsam mit dem Baufeld A erhielt das Büro auch den Zuschlag für die Revitalisierung der denkmalgeschützten, doch in die Jahre gekommenen Sihlpost.
Respekt vor der Substanz
In Zusammenarbeit mit dem städtischen Denkmalpflegeamt erstellten die Planer 2013 zunächst einen umfangreichen Kriterienkatalog für die Instandsetzung. Darin definierten sie die Leitplanken für den Umgang mit der geschützten Substanz, beispielsweise mit den unterzugslosen, nur 26 cm starken Eisenbetondecken. Letztere waren eine hier erstmals in dieser Größe eingesetzte Erfindung des Ingenieurs Robert Maillart. Für die Post waren sie von besonderer Bedeutung, erlaubte der Verzicht auf Unterzüge doch die durchgehende Installa-tion aufwendiger technischer Anlagen an der Decke. Für die aktuelle Sanierung bedeutete deren baukultureller Wert den Verzicht auf abgehängte Decken. Ein weiteres Beispiel sind die ebenfalls von Maillart entwickelten Pilzstützen, die die unterzugslose Decke mit Spannweiten von bis zu 9,5 m erst ermöglichten. Je nach Kräfteverlauf variieren die Dimensionen und die Ausbildungen der Pilzhüte – der denkmalpflegerische Kriterienkatalog sah vor, die Stützen jeweils sichtbar und das Prinzip der Tragkonstruktion auf diese Art und Weise ablesbar zu belassen.
Neben der Sanierung der Innenräume war auch die energetische Ertüchtigung der Fassade erwünscht – weniger ihres schlechten Zustands wegen als um der Komfortansprüche willen, die potentielle Mieter an dieser privilegierten Lage haben. Mit den revitalisierten Innenräumen einher gingen auch die Erneuerung der Erschließung und der Einbau von zwei Gastronomiebetrieben, jeweils an den Stirnseiten des Baus, sowie neue Ladennutzungen. In den Mittelteil im Erdgeschoss zog nach der Sanierung erneut die Hauptpost ein. Das zweite und dritte Obergeschoss nutzt heute die KV Zürich Business School, die weiteren Etagen belegen die Büros von Google.
Subtil, aber spürbar
Die Veränderungen durch die 2015 abgeschlossene Instandsetzung sind teilweise erst beim zweiten Hinsehen erkennbar. Am offensichtlichsten ist der – nicht unumstrittene – Farbwechsel beim nördlichen Treppenturm. Untersuchungen hatten gezeigt, dass die unterste Farbschicht dunkler war als bekannt, historische Schwarzweiß-Fotos sind nicht so eindeutig. So oder so: Der Anstrich in Anthrazit kontrastiert die Fassade aus gestocktem (im EG) bzw. geschalten und gestrichenem Beton (Fensterpfeiler in den Obergeschossen) und setzt ein weithin sichtbares Ausrufezeichen in die ansonsten streng gegliederte Ostfassade.
Im Erdgeschoss säuberte und reparierte man die schmiedeeisernen Gitter der großen Fenster. Wo neue Öffnungen nötig wurden, entwickelten die Architekten eine zeitgenössische Interpretation der historischen Eingänge mit markanten Rahmen aus gefärbtem Sichtbeton, so zum Beispiel bei den Fenstern der Restaurants. Die Fenstergitter der Westfassade, die der zweistöckigen Passerelle zum Nachbarbau weichen mussten, konnten teilweise an der Hauptfassade wiedereingesetzt werden.
Materialität und Rhythmus von Fassadenpfeilern, Brüstungen und Fenstern behielt man bei. Die energetischen Anforderungen – gewünscht war der Minergie-Standard für Sanierungen – lösten die Architekten unter anderem durch den Einsatz einer inneren Fassade. Die Lärchenholzfenster des Bestands mit ihrer charakteristischen Einfachverglasung konnten so erhalten werden. Metallfenster mit Doppelverglasung auf der Innenseite sorgen für die bauphysikalische Performance in Bezug auf Energieeffizienz und Schallschutz und gewährleisten gleichzeitig eine saubere Trennung von Alt und Neu. Zusätzlich wurde vor der Brüstung und den Pfeilern eine Innendämmung von 14 cm eingebaut.
Im Inneren entkernten die Planer das Treppenauge. Ein in den 1940er-Jahren hinzugefügter Blechaufzug anstelle des ursprünglichen filigranen gläsernen Lifts hatte den beeindruckenden Vertikalraum gänzlich verstellt. Die Aufzüge liegen nun in der Verlängerung der beiden Treppenhäuser, zusammen mit den neu auf jedem Geschoss untergebrachten Sanitärräumen. Von dort aus gelangt man auch zu den Flächen der Mieter. Die neuen Elemente, neben den Liften auch die Zuluftkuben im 3. OG, sind wie die Eingangskörper in dunklem Sichtbeton ausgeführt. Die Aufdopplung des Bodens erlaubte zum einen den schwellenlosen Zugang zu den Mietflächen, zum anderen konnten hier die notwendigen Leitungen untergebracht werden.
In den Treppenhäusern restaurierten die Planer die bandförmigen Wandbeläge aus ursprünglich nahezu fugenlos verlegtem Feinsteinzeug in warmen Grau-Beige-Tönen. Keine leichte Aufgabe, wird die Keramik heute doch industriell gefertigt, was rundere Kanten und damit eine ganz andere Anmutung mit sich brachte – Plättchen für Plättchen musste von Hand nachgeschnitten werden. Das Bandmotiv nimmt auch die neue Brüstung aus Stahl auf, die sich wie eine schwarze Postbanderole durch die Stockwerke nach oben windet. Gleichzeitig beruhigt ihre flächige Ausbildung das nachträglich durch den Einbau des Aufzugs an den Ecken angeschnittene Treppenauge.
Brüder im Geiste
Die Sihlpost der Gebrüder Bräm verkörperte bereits bei ihrer Entstehung die Zürcher Mentalität: kühl, protestantisch effizient und dabei von einer außergewöhnlich hochstehenden Ästhetik. Wie gut der Bau auch heute, über 85 Jahre nach seiner Fertigstellung, in einem völlig veränderten städtischen Umfeld aktuellen Ansprüchen gerecht wird, unterstreicht diese Leistung. Mit der Sanierung gelang es dem Büro Max Dudler, seine Qualitäten dort wieder zu beleben, wo sie verunklart waren und sie an jenen Orten zu stärken, wo neue Ansprüche an Komfort, Nutzung oder Sicherheit Interventionen erforderten. Und dies erneut auf die Zürcher Art: unprätentiös, präzis und hoffentlich langlebig. Tina Cieslik, Bern
Kasernenstrasse 95/97, Zürich/CH
Geschäftshaus/Bürogebäude
Max Dudler,Zürich/CH,
Aysu Gümüstekin, Julia Hemmerling, Anna-Katharina Hüveler, Tillmann Weissinger, Johann Moeller, Iman Charara, Valentin Niessen
Nina Behjati, Merry Claßen, Anne Gramatzki, Yves Geisser, Leeony Haus, Maren Jatzek, Vivien Merchak, Sandra Schank, Axel Schmidt, Maria Theis, Daisy Jacobs
Priora Generalunternehmung AG, Zürich/CH
Kopitsis Bauphysik AG, Wohlen/CH
BDS AG, Bern/CH, www.bds-bern.ch
2 869 m²/3 925 m² = 0,73
21 000 m²/3 925 m² = 5,35