Vorausgesetzt, wir denken alle um
DBZ Heftpartnerinnen Barbara Possinke und Silke Lange, RKW Architektur +, DüsseldorfWas machen Sie, wenn ihr Handy kaputt ist? Lassen Sie uns raten – ein neues kaufen? Irgendwie hat sich dieses Denken in unseren Köpfen festgesetzt. Den Computer reparieren? Das alte Auto wieder instandsetzen? Wahrscheinlich entscheiden sich die meisten von uns, auch mit Blick auf Amortisation sowie schnellen Fortschritt der Technik, für ein neueres Modell und werfen damit viele wertvolle Rohstoffe einfach weg.
Auch in der Immobilienbranche ist diese Denkweise immer noch weit verbreitet. Warum das Alte sanieren, wenn ein Neubau doch günstiger und risikofreier herzustellen ist? Ob sich jetzt mit dem Beschluss der Bundesregierung zum 11,5 Mrd. € schweren Programm zur Gebäudesanierung etwas ändert?
Denn eigentlich ist Deutschland fertig gebaut. Und eigentlich müssten wir instrumentarisch alles unter vorläufigen Denkmalschutz stellen, damit nicht weiter alternativlos abgerissen werden kann und wir eine Chance haben, die Klimaziele zu erreichen. Und ja, obwohl wir uns hier als Architektinnen und Architekten selbst schwer geißeln, stehen wir hinter den Forderungen der „architects for future“ und versuchen, unsere BauherrInnen davon zu überzeugen, zunächst einmal ihren Bestand zu analysieren. Die ESG-Kriterien sowie die Vorgaben der Offenlegungs- und Taxonomieverordnung im letzten Jahr unterstützen diesen Prozess. Aber nach wie vor bewegen sich derzeit noch viele Immobilieninvestmentmanager nur zögerlich tastend im Dschungel der vielen, häufig sehr undurchsichtigen und wenig umsetzungsorientierten Anforderungen. Wir nehmen allerdings erfreut wahr, dass es tatsächlich fast kein Unternehmen mehr gibt, das sich nicht ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzt. Das Verständnis, dass Greenwashing langfristig nicht funktionieren wird, ist inzwischen gesellschaftspolitisch breit etabliert.
Und genau hier liegt unsere Chance!
Jetzt ist der Moment, in dem wir mit gutem Beispiel vorangehen und verstärkt unsere beratende Rolle einnehmen sollten. Der Moment, in dem wir unseren BauherrInnen gut gemachte Sanierungen zeigen müssen. Und zwar die Beispiele, die nicht nur – laut Definition von Sanierung – den standsicheren, gebrauchstauglichen und zweckbestimmten nutzbaren Zustand eines Gebäudes wiederherstellen, sondern seinen Wert auch nachweisbar, sichtbar und spürbar steigern. Dazu muss für jedes Bestandsgebäude und die damit verbundene Aufgabenstellung ein zumeist sehr individueller, optimierter Sanierungsansatz unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsgrundsätze gefunden werden. Das bringt neue kreative Chancen, Herausforderungen und auch neue Aufgabenfelder mit sich.
Wie weit können wir hier gehen?
Es ist eine Gratwanderung. Denn die Gefahr des Zuviel-Wollens, der Totsanierung oder „Verfettung“ ist groß. Und damit ist dann weder dem Gebäude selbst, dem umgebenden städtebaulichen Raum, noch der Umwelt geholfen. Wir können heute ein Haus mit KfW-Förderung bis zu einem Grad dämmen, der ökologisch in einer Gesamtbetrachtung nicht mehr sinnvoll ist. Im Gegensatz dazu erhält aber zum Beispiel das Wiedereinbringen eines Bauteils oder Baustoffs, das immens CO₂ einspart, keinen Cent Förderung. Hier müssen wir ansetzen: Denn aus dem Bestand kann man nicht nur Inspiration schöpfen, sondern auch Substanz. Die bereits verbauten Materialien sind viel zu wertvoll, um sie ohne weitere Verwertung einfach nur zu entsorgen.
Wir wollen nicht alles auf die Politik, auf Gesetze und Vorgaben transferieren, aber etwas flexiblere Normen wären an der ein oder anderen Stelle zielführend. Beispielsweise schränken harte Grenzwerte oft den planerischen Spielraum in Bestandsgegebenheiten wie ein Korsett ein, lösen neben Baukostensteigerungen auch hohen Abstimmungsaufwand zwischen allen Planungsbeteiligten und genehmigenden Behörden für Abweichungen oder Zulassungen im Einzelfall aus. Während der Fokus auf Zielfestlegungen einen breiteren Umsetzungsspielraum ohne Qualitätseinbußen öffnen könnte.
Aber auch ein konsequent nachhaltiger Materialeinsatz stellt eine Herausforderung für uns ArchitektInnen, die herstellende Industrie sowie das verarbeitende Gewerbe dar. Wir brauchen nicht nur alternative technische Lösungen für Baukonstruktionen und recycelte bzw. recycelfähige Materialien, sondern auch mehr Transparenz und interdisziplinäre Kommunikation. Ist da, wo „grün“ drauf steht auch wirklich „grün“ drin?
Die perfekte – ressourcenschonende – Sanierung für uns wäre demnach: 1. Wir erhalten so viel wie möglich vom Bestand.
2. Wir gehen bewusst und behutsam mit den vorhandenen Materialien um. 3. Wir verwenden brauchbare, gebrauchte Bauteile wieder. Voraussetzung: Wir denken alle um. Egal ob bei der „Sanierung“ unseres Handys, Autos oder Gebäudes!