HOAI

Wir wollen doch auch die europäische Idee schützen. Zur Sachlage HOAI und EU
Im Gespräch mit Barbara Ettinger-Brinckmann, Berlin

Untergang des Abendlandes? Was passiert, wenn die Europäische Kommission die angedrohte Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof einreicht und Erfolg hat? Und damit die Verbindlichkeit der HOAI kippt? Kommt dann der Untergang der Baukultur insgesamt? Wir sprachen darüber mit der Präsidentin der  Bundesarchitektenkammer, Barbara Ettinger-Brinckmann. Und konnten am Ende des Gesprächs feststellen, dass die für den Erhalt der HOAI kämpfende BAK eigentlich ganz entspannt ist.

HOAI. Vier Buchstaben in den Marmorsockel eines Denkmals gehauen?

Möglicherweise kann man das so sehen. Es besteht schon die Gefahr, dass die Verbindlichkeit der HOAI kippt – und nur um die geht es, um die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze. Deutschland ist das einzige Mitglied der Union, das für Architekten über eine Honorarordnung verfügt, die Gesetzescharakter hat. Europa, genauer, die Europäische Kommission, hat sich die Regulierung der freien Berufe insgesamt vorgenommen mit dem Ziel einer Liberalisierung. Das Ganze unter dem Motto: Deregulierung schafft Wachstum und Beschäftigung.

Neoliberale Forderungen aus Brüssel?!

Nun, die Beamten dort sehen die Honorarordnung in unserem Land als eine „geschützte Werkstatt“ an und behaupten, dass das einfach nicht in unsere Zeit passe und dem weiteren Ausbau des Binnenmarktes entgegenstehe.

Haben Sie in der Kommission Kräfte ausmachen können, die alles gleichziehen wollen?

Es geht gar nicht um‘s Gleichziehen. Die Europäische Kommission sind in diesem Fall die die europäischen Verträge vollziehenden Beamten. Die Verträge sehen den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr und die Freizügigkeit von Kapital und Arbeitskräften vor, also einen durchlässigen europäischen Wirtschaftsmarkt. Alles, was der Kommission hinderlich erscheint, soll aus dem Weg geschafft werden.

So wie die HOAI, die der Freizügigkeit im Wege steht?

Ja, das sieht die EU-Kommission so. Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass Europa nicht angetreten ist, alles gleich machen zu wollen. Nach meinem Verständnis ist Europa ein freier Markt mit einer Vielzahl nationaler Eigenheiten. Und immer noch gilt – in Deutschland sehr stark, aber auch für ganz Europa – das Subsidiaritätsprinzip. Unser Berufsstand ist ein sehr gut funktionierendes System, das dem Subsidiären hundertprozentig entspricht. Weil wir in Selbstverwaltung eigenfinanziert unsere Angelegenheiten regeln. Dazu gehört – als wichtiger Baustein – die Honorarordnung als Rechtsverordnung des Bundes.

Und die steht ganz besonders wofür?

Die HOAI leistet einen wesentlichen Beitrag zu fünf Aspekten: zur Qualitätssicherung, zum Verbraucherschutz, zum Schutz unseres Mittelstandes und zur Kostentransparenz und Korruptionsvermeidung mit einem geringstmöglichen Maß an Bürokratie. Wir wollen Wettbewerb vor allem über die Qualität und dem stellen wir uns ja auch. Beispielsweise über unser Wettbewerbswesen.

Was auch umstritten ist, Stichwort VgV-Verfahren. Sie deuten an, jeder Bauherr hätte die Chance auf den besten Architekten. Ist das nicht reine Theorie?

Na ja, die HOAI garantiert, dass der Bauherr für die bestmögliche Leis-tung nicht mehr bezahlen muss als für eine weniger gute. Es ist doch so: Je besser der Architekt plant, desto geringer sind die Investitions- und Lebenszykluskosten des eigentlichen „Produkts“.

Hinzu kommt, dass nicht nur Bauherr und Planer eine Rolle spielen. Die bauen ja nie nur für sich selbst, sondern immer auch für andere bzw. andere sind immer auch dem Gebauten ausgesetzt als Nutzer, als Besucher, als Passant. Und sie bauen für die Zukunft, da das Haus eine weit längere Lebensspanne hat als das menschliche Leben.

Sie haben Gutachten erstellen lassen. Was sollten die feststellen?

Vorher noch das: Der eigentliche Einwand der Kommission gegen die HOAI stützt sich auf die Ansicht, die Honorarordnung würde die Niederlassung behindern: Weil der ausländische Architekt in Deutschland seine Leistungen nicht günstiger anbieten kann. Doch um hier mitbieten zu können oder auch die deutschen Architekten unterbieten zu können, muss sich ja kein EU-Ausländer hier niederlassen. Aufgrund der Dienstleistungsfreiheit kann er von seinem Heimatland aus ohne Bindung an die HOAI hier arbeiten. Denn bei unserer HOAI handelt es sich ja um eine reine „Inländerverordnung“, die nur für den greift, der in Deutschland niedergelassen ist.

Zu den Gutachten: Wir haben zwei in Auftrag gegeben: ein so genanntes juristisches Gutachten, das prüfen soll, ob das von der Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgelöste Vertragsverletzungsverfahren überhaupt rechtens ist.

Dann haben wir überprüft, ob es einen signifikanten Zusammenhang gibt zwischen Qualität und verbindlichem Preisrecht.

Ein drittes Gutachten vom BMUB soll prüfen, wie durchlässig der Markt in der EU ist. Ich kenne nun die Ergebnisse noch nicht im Detail, aber wir bekommen das auch von den Nachbarländerverbänden bestätigt, dass Architekten ganz im Gegenteil sich eher gerne in Deutschland niederlassen würden, gerade weil es hier eine Honorarordnung gibt.

Welcher Verband, welche Organisation ist denn außer den Kammern noch mit im Boot, wenn es darum geht, der Bundesregierung Argumente pro Erhalt HOAI zu liefern?

Viel wichtiger als das Agieren von Kammern und Verbänden ist es, dass die Bundesregierung und der Bundestag geschlossen hinter dem verbindlichen Preisrecht stehen, wie es in der HOAI geregelt ist. Dieses ist auch mehrfach vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages bestätigt worden.

Darüber hinaus setzen sich alle Architektenverbände, die Bundesingenieurkammer, alle Ingenieurverbände, dann noch der Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung e. V. (AHO) für den Erhalt des verbindlichen Preisrechts ein. Also praktisch die ganze berufsständische Seite, die hundertprozentig hinter den Anstrengungen steht, die HOAI zu erhalten. Unterstützung bekommen wir zudem vom Bundesverband der Freien Berufe.

Gab es einen konkreten Anlass für die Einführung der HOAI?

Die HOAI ist 1977 entstanden und führte die bis dahin gültige GOA (Gebührenordnung für Architekten von 1950) und die GOI (Gebührenordnung für Ingenieure von 1956) zusammen. Im Vordergrund der seinerzeitigen GOA stand zunächst die Begrenzung des Honorars nach oben, um nach dem Krieg die Kosten für den Wiederaufbau zu begrenzen. Dann stellte sich aber sehr schnell heraus, dass sich das allgemeine Preisgefüge zu Lasten der Architekten veränderte und zugleich ein starker Druck auf die Architekten ausgeübt wurde, die
Honorare zu senken. Dieser Tendenz wollte man entgegenwirken.

Hat sich die Honorarordnung in den Jahren verändert?

Klar, die HOAI ist immer wieder angepasst worden. Seit 1977 gab es sieben Novellen. Es ist also nicht so, dass das ein starres Ding ist.Und ganz deutlich: Wir wollen keine Besitzstandwahrer sein! Ich persönlich denke immer wieder darüber nach, ob wir noch modern sind, mit der Zeit gehen, die richtigen Instrumente haben. Das alles hinterfragen wir regelmäßig und ich denke, dass wir ebenso regelmäßig Impulse für Erneuerung geben. Was nicht zuletzt auch dem föderalen System entspringt: 16 Kammern mit jeweils ganz eigener Geschichte, eigener Sicht auf die Dinge.

Haben Sie keine Angst, mit Ihrem Kämpfen für eine nationale Eigenart als antieuropäisch wahrgenommen zu werden, gerade auch in diesen Zeiten?

Nein, da habe ich keine Angst. Denn ganz im Gegenteil versuchen wir doch, die europäische Idee vor dem eigenen Klein-Klein-Niveau zu schützen. Ich bin eine überzeugte Verfechterin der europäischen Idee, vor allem auch des dahinter stehenden friedenerhaltenden Projekts Europa. Wir setzen uns für die HOAI als Teil eines Systems ein, das für die Sicherung der Qualität der gebauten Umwelt – also auch für den Verbraucherschutz – nachweislich bestens geeignet ist. Weitere Elemente sind dabei unsere berufsständische Selbstverwaltung oder die Verkammerung. Sie tragen auf unbürokratische und effiziente Weise zur Qualitätssicherung bei.

Stehen die Kammermitglieder eigentlich hinter Ihrer Initiative?

Wir haben eine Onlinepetition gemacht, als es um den ersten Schritt im Vertragsverletzungsverfahren ging und einen tollen Rücklauf bekommen. Auch auf unsere Verlautbarungen sind die Rückmeldungen durchwegs positiv.

Und wenn die HOAI nun abgeschafft würde?

Aber das ist es ja: Es geht ja nicht um deren Abschaffung! Es geht um die Abschaffung der Verbindlichkeit und damit um ihre teilweise Entwertung.

Alle zum Weitermachen nach den Regeln der HOAI einschwören?

Davon abgesehen, dass die HOAI ohnehin eine Rechtsverordnung des Bundes mit bindendem Rechtscharakter ist: Ja! Ich gehe davon aus, dass nicht nur die öffentliche Hand an der HOAI festhalten muss, denn wir brauchen einen definierten Orientierungsrahmen, den die Honorarordnung Architekten und Bauherren vorgibt.

Was rufen Sie den Kollegen zu?

Was rufe ich denen zu?! Bleibt bei der HOAI, die ist das Beste, was ein Markt als qualitätssicherndes und stabilisierendes Element haben kann! Und es gibt überhaupt keinen Grund dafür, sie abzuschaffen.

Mit der Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Barbara Ettinger-Brinckmann, unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 24.01.2017 im Berliner Büro der Bundesarchitektenkammer.

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