Wow!

Vielleicht ist das nicht gerade der seriöseste Einstieg in eine Buchrezension, aber ein Wow! muss hier einmal geschrieben sein: wegen der Menge an Seiten, wegen der Menge an Bildern, wegen der schier unglaublich dichten Textmenge dieser „Forschungsarbeit“, wie ihr ­Autor sie so gerne und immer wieder nennt. Keine Dissertation im strengen Sinne, eher der Bericht von einer Expedition in die Weite des Themas, in die exotischen Stadtwelten in der Weite der riesigen Landschaften der ehemaligen UdSSR, in die schwer zugänglichen ­Archive und die Geschichten zur Geschichte des Plattenbaus.

Wegen des Aralsees reist der Autor, der Verleger und Architekt ist, nach Usbekistan. Wie er überhaupt vorher und später immer wieder in der damaligen UdSSR unterwegs war. Hier hat er die „Platte“ entdeckt, Platte in allen Formen und Schattierungen, in allen Zuständen und Nutzungsformen. Plattenbautenvielfalt?

Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, ist auf den zweiten erklärbar. Allerdings braucht man dafür rund 700 Seiten Lektüre, denn so viele hat Philipp Meuser gebraucht, um uns die Ästhetik der Platte handgreiflich zu machen (hätte er das kiloschwere Buch quadratisch gefertigt, es hätte eine Gehwegplatte sein können!). Nach dem Buch von Hugo Palmarola und Pedro Alonso („Monolith“) erscheint diese Arbeit wie eine Fortsetzung einer Liebeserklärung an eine Geschichte, die von der Revolution im Wohnungsbau erzählt.

Einer allerdings gescheiterten Revolution, denn die Platte hat in der westlichen Welt keinen guten Ruf. Ist aber mit dafür verantwortlich, dass die Idee der Vorfertigung und industriellen Häuserproduktion heute übersetzt und gleichsam ideologisch gekontert in so genannten 3D-Drucker-Welten ihre mögliche Zukunft gefunden hat: Die Flucht aus dem von der Platte bestimmten Raster in eine allerdings nur scheinbar vorhandene Selbstbestimmheit eines individualisierten Raumes folgt ebenso ökonomischen Interessen, wie diese beim Plattenbau bis heute treibende Kraft sind.

So gesehen erscheint der Expeditionsbericht, in den man sich hineinlesen muss, der nicht im Überflug Erkenntnisgewinne bietet, wie ein lauter Ruf nach Innehalten. Der in aller Faszination eben nicht objektive Blick auf den Wohnungsbau in der UdSSR soll, so der Autor, ein neues Bild produzieren, eines, das sich allen Vorurteilen entledigt hat und den Wert einer Bauweise anerkennt, die bis heute das Erscheinungsbild vieler Städte bestimmt; und zwar mittels einer vielfach geächteten Ästhetik der Plattenbauweise, der Vergemeinschaftung, Kollektiv und Zugluft anhängt. Und weniger Stichworte wie Erfindung, Möglichkeiten, Ressourcenschonung oder gar Innovation. Die vorliegende Arbeit hat das Potential, diesen eingeschliffenen Blick zu korrigieren. Hin zu einer größeren Plattengerechtigkeit in ­Zukunft. Mit Personen- und Ortsregister. Be. K.

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