Sie ist wieder (noch) da: die Aufstockungsklage!
Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.08.2023, Az. VII ZR 102/22
Darüber, dass die zwingenden Mindest- und Höchstsätze der HOAI 2009/2013 gegen Unionsrecht verstoßen, hatten wir bereits mehrfach ausführlich geschrieben. Ebenso über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, wonach nationale Gerichte in Altfällen die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI 2009/2013 zwischen Firmen des Privatrechts ohne EU-Auslandsbezug weiterhin anwenden dürfen. Einer Honoraraufstockungsklage kann daher allein mit dem Treuwidrigkeitseinwand entgegengewirkt werden, wobei hohe Anforderungen gelten, vgl. BGH, Urteil v. 23.10.2008, Az.: VII ZR 105/07. Diese Rechtsprechung galt aber nur für den Treuwidrigkeitseinwand, wenn sich ein Architekt/Ingenieur bei einem unterhalb der Mindestsätze liegendem Honorar, auf die Aufstockung desselben auf (das verbindliche) Mindestsatzniveau im Rahmen seiner Schlussrechnungsstellung berufen wollte. Der gleiche Maßstab kann nunmehr nicht spiegelbildlich auf die Fälle angewandt werden, bei denen eine Honorarvereinbarung nicht wirksam abgeschlossen wurde und aus diesem Grunde die Mindestsätze gelten würden, vgl. § 7 Abs.1, 3 HOAI 2013.
In dem entschiedenen Fall hatte ein Generalplaner einen Subplaner ein Pauschalpreisgegenangebot gemacht, was dieser aber nicht schriftlich angenommen hatte. § 7 Abs.1, 3 HOAI 2013 sieht für den wirksamen Abschluss einer Honorarvereinbarung die Schriftform voraus. Fehlt diese, gelten die HOAI-Mindestsätze (HOAI 2013). Der Subplaner fing mit der Planung an, stellte Abschlagsrechnungen und forderte schließlich mit der nach Mindestsätzen erstellten Schlussrechnung weiteres Honorar im sechsstelligen Bereich vom auftraggebenden Generalplaner. Dieser hielt dem Subplaner den Treuwidrigkeitseinwand entgegen.
Das Landgericht Hannover und das Oberlandesgericht Celle haben die (Aufstockungs)Klage des Subplaners wegen Treuwidrigkeit abgewiesen. Der Bundesgerichtshof (kurz BGH) hob die Entscheidung des Oberlandesgerichts aber wieder auf und verwies den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an eine andere Kammer zurück. Dem BGH nach gilt eine Abrechnung nach Mindestsätzen dann nicht automatisch als treuwidrig, auch wenn das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, wenn der Architekt/Ingenieur sich auf das Fehlen einer schriftlichen Honorarvereinbarung bei Auftragserteilung beruft. Nur wenn nämlich das Berufen auf die Formunwirksamkeit zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde und es aus diesem Grunde rechtsmissbräuchlich wäre, wäre es treuwidrig sich auf die Formunwirksamkeit zu berufen und nach (den höheren) Mindestsätzen abzurechnen. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn eine Vertragspartei die andere Vertragspartei schuldhaft von dem formwirksamen Abschluss einer Honorarvereinbarung abhalten würde oder die Existenz der anderen Vertragspartei durch die Formwidrigkeit in der Existenz bedroht wäre. Da das Vorliegen dieser Voraussetzungen durch die Vorinstanz nicht festgestellt worden ist, wurde der Rechtsstreit an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der BGH hat übrigens nicht durchgehen lassen wollen, dass der Subplaner zunächst selbst ein unterhalb der Mindestsätze liegendes Honorar angeboten, der auftraggebende Generalplaner daraufhin ein noch darunterliegendes Angebot gestellt, welches der Subplaner aber nie aktiv angenommen, sondern mit der Bearbeitung der vertraglich geschuldeten Leistungen begonnen hatte (kein kaufmännisches Bestätigungsschreiben). Hieraus könne noch keine Treuwidrigkeit abgeleitet werden.
Der Bundesgerichtshof definiert mit diesem Urteil die Voraussetzungen des Treuwidrigkeitseinwandes bei formunwirksamer Honorarvereinbarung und grenzt diese von Fällen einer wirksamen, aber unter den Mindestsätzen der HOAI 2009/2013 liegenden Honorarvereinbarung ab. Bemerkenswert ist dabei, dass sich diese Rechtsprechung auch auf die jüngste HOAI 2021 (Verträge seit dem 01.01.2021) abbilden lässt, bei der es zwar keine zwingenden Mindestsätze mehr gibt, wohl aber das sogenannte Basishonorar, was dem ehemaligen Mindestsatz entspricht. In § 7 Abs.1 HOAI 2021 ist als Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Honorarvereinbarung die Textform vorgeschrieben. Beachten die Parteien aber auch die Textform nicht (Vertragsschluss mündlich oder konkludent) dann gilt für die Grundleistungen das Basishonorar. Auch hiergegen kann der Auftraggeber den Treuwidrigkeitseinwand dann nur unter den hier vom BGH aufgestellten Voraussetzungen wirkungsvoll entgegenbringen, ein harter Brocken für den Auftraggeber.
Die Aufstockungsklage spielt damit weiterhin eine große Rolle.