Versteinert: Berlin im Pflasterrausch
Widersprüchlichkeit steht immer für das Lebendige, das Bewegliche auch, für Diskurs und Diskussion – in der Hauptstadt sowieso. Wurde hier in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten konsequent Ost-Geschichte in ihrer baulichen Hinterlassenschaft gelöscht, ist man andererseits bereit, für die Rekonstruktion eines Platzes beispielsweise einen historischen Bezugspunkt in der DDR-Geschichte zu setzen.
Es geht um den unter Denkmalschutz stehenden Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte, eine erste Adresse der Stadt mit anliegenden Pracht- und Repräsentationsbauten, wie sie so in Deutschland nur noch selten zu finden sind. 1,9 ha groß ist die Fläche, die nach Auskunft der Stadt Berlin jährlich Millionen Besucherinnen (Touristen) anzieht, ob wegen des Schinkel-Baus Konzerthaus oder der beiden Kirchen/Veranstaltungshäuser Deutscher Dom beziehungsweise Französischer Dom (beide Carl von Gontard) ist nicht ausgemacht. Vielleicht kommt man auch wegen der Platzfläche selbst, die wie wenig andere in Berlin Selfi-Kulisse par exellence anbietet für Bilder aus dem steinernen Herzen des historischen Berlins.
Nun wurde diese Platzfläche in großen Teilen denkmalgerecht saniert, angelehnt an die Nachkriegs- also DDR-Gestaltung. Die war im Wesentlichen eine Rekonstruktion der schon unter den Faschisten geplanten Aufmarschfläche, die das DDR-Regime an verschiedenen Orten in ihrem Hauptstadtanteil anlegen ließ. Und so ganz anders als vielfach kolportiert, rekonstruierten die Staatssozialisten die sakral-/profanen Dome außen nahe am Original auf der Grundlage des vom Westen mitgetragenen Bauprogramms „Kirchen für neue Städte“.
Entwurf und Planung der Sanierung kommen von Rehwaldt Landschaftsarchitekten Dresden mit PST GmbH, Werder/Havel. Ihre Landschaftsvision wurde Ende 2024 termingerecht fertiggestellt. Im März 2025 durften wir wieder flanieren. Über eine Pflasterödnis, die allerdings auf höchstem technischem Niveau daherkommt und von der Bauherrschaft als „unterirdische Infrastruktur für Gastronomie und Veranstaltungen“ zusammengefasst wird. Rund 6 000 t Natursteinpflaster wurden abgetragen, der Boden auf Sprengmittel untersucht. Es wurde ein rund 5 km langes Leitungsnetz für Strom, Wasser und Abwasser installiert mit über 50 versenkbaren Trinkwasser- und Schmutzwasseranschlüssen und rund 30 unterirdischen Stromanschlüssen. Denn: Es ging bei der 21 Mio. € teuren Sanierung weniger um Historie, man wollte die 16 000 m² Platzfläche für Veranstaltungen wie Freiluftkonzerte oder Markttage fit machen. So musste man in der Vergangenheit den Strom über offen verlegte Kabel aus dem Konzerthaus herausführen. Nun werden, so ist zu lesen, die technische Auf- und Abbauzeit erheblich verkürzt.
Die Beseitigung der in den 1980er-Jahren angelegten Aufkantungen schließt die Platzfläche höhengleich an die Gehwege an: Barrierefreiheit. Der Gehweg der Charlottenstraße wird nach Wes-ten verbreitert, hierzu wird der derzeitige Parkstreifen entfernt. In diesem Zuge erfolgt die Optimierung der Betriebszugänge am Konzerthaus und die Ausweisung einer definierten Ladezone.
Dass nun gemeckert wird über die steinerne Leere ist angesichts der steinernen Leere verständlich. Wenige Bäume ersetzen die, die gefällt wurden, aber Bäume würden das Zweckmäßige auch stören. Allerdings: Zweckmäßigkeit heute ist möglicherweise eine andere als in zehn oder zwanzig Jahren, wenn wir Schatten suchen und nachts auf Kühlung hoffen. Aber Pflaster ist – das ist vielleicht ganz besonders den Meckerern bekannt –, reversibel und Bäume könnten in großen Trögen aufgestellt werden, verschiebbar, um am Abend einem Nocturne oder einer Serenade zu lauschen … wenn es der Verkehrslärm zulässt. Aber auch daran kann man arbeiten. Be. K.