Zumindest mal lesen
Seit ein paar Jahren wird – vor allem hier in Deutschland – eine ehemals und bis heute größtenteils ungeliebte Architektur aus ihrem Schattendasein ins Gerede geholt: der Brutalismus. Unterschiedliche Protagonistinnen sind hier am Werk, unterschiedliche Motive treiben sie an, unterschiedliche Bauten werden zitiert und vorgeführt; Hauptsache „Ugly Beauty“. Sichtbeton (brut), massige, wie von Riesenhänden geformte Volumen kennzeichnen die Bauten, die in ihrer Entstehungszeit auch die alternative Szene ärgerte, die heute für deren Erhalt kämpft. Das „Schade, dass Beton nicht brennt!“ entsprang einer Haltung, die geprägt war vom gegen das Establishment sein, das sich in der schieren Gewalt des Materials und seiner Fügung als unangreifbar zu manifestieren schien.
Er brennt, wie wir heute wissen. Doch heute werden brutalistische Bauten eher für den Straßenunterbau zerkleinert. Es sei denn, sie stünden unter Denkmalschutz, wie es mehr und mehr mit diesen meist ungeliebten, abweisend wirkenden Bauten passiert; wir Fachleute haben hier einen anderen Blick als sie, die Nachbarn gegenüber. Gegenüber beispielsweise dem sogenannten Mäusebunker oder dem Hygieneinstitut, beide in Berlin und Pressestars der letzten Jahre.
Tatsächlich herausragend in Gestaltung und Erhaltung wurde und wird lange schon über ihre Weiternutzung diskutiert. Hier nun haben wir endlich die grundlegende Arbeit zu beiden Baugeschichten vorliegen, die vielleicht manches gerade und anderes eher auf Distanz rücken. Der Mäusebunker von Gerd und Magdalena Hänska und das Hygieneinstitut von Hermann Fehling und Daniel Gogel in Berlin-Steglitz zeigen eine unterschiedliche Architekturauffassung, die zum einen die Überlegungen zu einer gemeinsamen Zukunft nicht leichter machen, beide andererseits – als annähernd gleichzeitige Projekte einer Bauherrschaft – den Diskurs über Erhaltung und Weiternutzen, über Geschichte und Zukunftsblick an einem Ort vielschichtig und fruchtbar machen (können). Immerhin: Das Hygieneinstitut scheint gerettet, der spektakulärere, aber wesentlich anspruchsvoller in Sanierung/Nachnutzung seiende Mäusebunker steht noch zur Disposition.
Die Publikation arbeitet sich nun an der Baugeschichte ab, schaut kurz auf die Nutzungsphasen und im Anschluss auf die Aktionen und Akteure, die uns diese beiden Bauten wieder vor Augen führten und die sich Gedanken machen um Ressourcen, Bauleitplanung, Kulturgeschichte und das Hürdenlaufen auf sämtlichen politischen Entscheidungsebenen. Fotos von drinnen zeigen Räume, die wir nur ahnen können, zeigen Bauzustand heute und Gestaltungsstrategie gestern, ein paar Ideenskizzen zur Nach- und Weiternutzung runden das Diskussionsspektrum ab.
Es fehlt nichts, außer vielleicht das konkrete Ziel, das vor Augen alle Zögerer einen Gang höher schalten ließe. Denn die Zeit spielt gegen alle die, die hier erhalten und weiterführen wollen: Bestandsschützer, Utopisten und diejenigen, die mittlerweile als „Brutalist“ auch filmisch geadelt sind. Die können aus dieser Publikation neue Argumente schöpfen, die anderen sollten hier zumindest einmal lesen! Be. K.