Anspruchsvoll und gut gefüllt


Zunächst: Viel Lesestoff, endlich ein dickes Buch mit schönem Textsatz, einer fließenden Typo und unprätentiös arbeitenden Bindung. 20 Texte unterschiedlicher Autorinnen mit entsprechend unterschiedlichen Ansätzen, die sich sämtlich dem Thema – Welchem eigentlich? – zuwenden.

Der Titel der Publikation deutet auf ein Begriffs­paar im Architekturdiskurs hin, das tatsächlich bis heute wenig behandelt ist: Ästhetik und Architektur. Alle reden davon, aber weiß man denn, was mit „Ästhetik“ gemeint ist, die an der – offenbar gelungenen – Architektur hängt? Was sie ist und wo sich ihre Begrifflichkeit schärfte, verhandeln die Herausgeber in einem längeren Zwiegespräch zu Beginn. Und dann bricht es mehr oder weniger ab. Nicht das Niveau der Reflexionen über: Schönheit – da ist es wieder, das scheinbar Untrennbare von Ästhetik und Schönheit! –, über Architektur vs. Kunst, Thesen zur KI, Urbilder etc. Weniges davon ist verstiegener Fachjargon, in fast allen Texten offenbaren sich dem Rezensenten Zusammenhänge von historischen zu zeitgemäßen Diskursen. Und es offenbaren sich die bis heute gültigen Argumentationsstränge zum gelungenen Bauen, die wie häufig und so auch hier bei Vitruv starten. Doch es spielen auch aktuelle Frage­stellungen eine Rolle, und es gibt anschaulich präsentierte Versuche, „konkret [zu] werden“ (im Bezug auf das reale Baugeschehen).

So fasert sich die Ästhetik, die wohl zuerst mit Alexander Gottlieb Baumgartens „Aesthetica“ (1750/ 58)  ihren theoretischen Anlauf genommen hat, in vielem auf. Und endet in einer bereichernden Lese- und Rezeptionsarbeit, die keine abschließenden Erkenntnisse bringt. Aber für das Abschließende sind auch andere Fakultäten zuständig. Dass wir nach der Lektüre noch immer von Ästhetik im Sinne von schön, gelungen, also mit positiv wertendem Gestus sprechen, das mag die einzige, winzige Schwachstelle dieser großartigen Herausgeberarbeit sein.

Be. K.

Ästhetik und Architektur. Hrsg. v. Daniel Martin Feige u. Sandra Meireis. Transcript Verlag, Bielefeld 2024, 300 S.35 €, ISBN 978-3-8376-6445-4
x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe XX/2024

Ästhetik

Dass der Begriff der Ästhetik – direkt übersetzt „Wahrnehmung“ oder „Empfindung“ – nicht nur, aber auch in der Architektur, eng mit dem Begriff der Schönheit verknüpft ist, macht ihn...

mehr
Ausgabe 02/2017

Schön gemacht

Diébédo Francis Kéré, in Burkina Faso geboren und nach einem Architekturstudium in Berlin dort auch vorrangig arbeitend, erscheint so manchem als Hoffnungsträger und Leitbild für ein neues...

mehr
Ausgabe 10/2023

Promenadologie

Das Buch ist fett und es macht hungrig auf etwas, was in dieser Zeit selten geworden ist: exzessives Lesen. Lucius Burckhardt, Schweizer Ökonom und lehrender Soziologe, hat viele Texte und ein paar...

mehr
Ausgabe XX/2024

Schön - wahr - gut

„Moderne“ ist ein weiter Begriff. Er umfasst eine lange Phase der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts und so manche würden behaupten, dass sie noch nicht ganz zu Ende ist. Ihre Merkmale sind...

mehr
Ausgabe 09/2023

Nicht lesen? Doch!

Eigentlich darf man Hermann Funke gar nicht lesen. Nicht wenn man Architekt:in ist und schon gar nicht als Kritiker:in. Denn ersteren macht er Angst und letzteren legt er die Latte derart hoch, dass...

mehr