Strafrecht sticht Berufsrecht!
(Urteil vom 11.02.2022 – LBG 2/21)
In der vorliegenden Entscheidung musste das Landesberufsgericht für Architekten in Baden-Württemberg über die Auswirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung eines Architekten auf dessen Verurteilung durch die Berufsgerichtsbarkeit sowie die Anwendung des grundgesetzlichen Verbots der Doppelbestrafung entscheiden. Das klingt zwar kompliziert, sollte berufsrechtlich aber exakt beachtet werden. Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde.
Der Beschuldigte wurde 2002 als angestellter Architekt in die Architektenliste einer Architektenkammer eingetragen. Seit 2003 war der Beschuldigte Geschäftsführer der P GmbH. Er war außerdem zusammen mit dem Geschädigten K Geschäftsführer der P IMMO GmbH, die im März 2011 gegründet wurde, sowie der T GmbH, die im September 2012 in das Handelsregister eingetragen wurde, und zweier weiterer Gesellschaften. In den Jahren 2010 bis 2014 war er als Geschäftsführer der genannten Gesellschaften im Bereich der Bauwirtschaft tätig. Die wesentliche Betätigung der P GmbH bestand in der Betreuung von Bauvorhaben verschiedener Baugruppen. Im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Geschäftsführer dieses Unternehmens kam es jedenfalls ab dem Jahr 2011 zu erheblichen Unregelmäßigkeiten, weil der Beschuldigte Zahlungen einzelner Baugruppen nicht für deren eigene sondern für andere Projekte und für private Zwecke verwandte. Neben der zweckwidrigen Verwendung von Geldern beging der Beschuldigte zwei Betrugshandlungen zum Nachteil von K. Der vom Beschuldigten verursachte Vermögensschaden des K und der geschädigten Baugruppen lag deutlich über einer Million Euro. Aufgrund einer Selbstanzeige wurde ein Strafverfahren gegen den Beschuldigten durchgeführt. Der Beschuldigte wurde durch Urteil des Amtsgerichts vom 01.10.2018 wegen Untreue in 17 Fällen, Betruges in zwei Fällen sowie wegen Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Am 16.12.2014 wurde die Privatinsolvenz über das Vermögen des Beschuldigten eröffnet. Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 10.01.2020 wurde dem Beschuldigten eine vorläufige Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren erteilt.
Parallel zu dem Strafverfahren wurde gegen den Beschuldigten am 01.09.2017 Anklage wegen berufswidriger Handlungen vor einem Berufsgericht für Architekten erhoben. Außerdem wurde im September 2017 ein Löschungsverfahren eingeleitet. In seiner Sitzung vom 13.10.2017 traf der Eintragungsausschuss dieser Architektenkammer die Entscheidung, die Eintragung des Beschuldigten als angestellter Architekt in der Architektenliste zu löschen. Der Beschuldigte war zu diesem Zeitpunkt bereits strafrechtlich verurteilt, die Verurteilung war lediglich hinsichtlich des Strafmaßes noch nicht rechtskräftig.
Die Klage des Beschuldigten gegen den Löschungsbescheid hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 09.04.2020 abgewiesen und die Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, die Verurteilung des Beschuldigten wegen der begangenen Straftaten begründe einen zwingenden Versagungsgrund nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 baden-württembergisches Architektengesetz. Außerdem hat das Verwaltungsgericht die Löschungsentscheidung auch insoweit für rechtmäßig angesehen, als sie auf den Löschungsgrund des Vermögensverfalls gestützt war. Daraufhin wurde die Eintragung des Beschuldigten in der Architektenliste der Architektenkammer am 26.06.2020 gelöscht.
Auf seinen Antrag wurde der Beschuldigte am 06.11.2020 wieder in die Architektenliste eingetragen.
Das Berufsgericht für Architekten hatte das berufsgerichtliche Verfahren mit Beschluss vom 18.12.2017 bis zum Abschluss des Löschungsverfahrens ausgesetzt. Durch Beschluss vom 22.02.2021 wurde das berufsgerichtliche Verfahren fortgesetzt und der Beschuldigte in der Hauptverhandlung vom 25.06.2021 wegen berufswidrigen Verhaltens zu einer Geldbuße von 4.000,00 Euro verurteilt.
Das Urteil:
Der Beschuldigte habe sich wegen berufswidrigen Verhaltens gemäß § 17 Satz 1 und 3 baden-württembergisches Architektengesetz schuldig gemacht. Er habe, wie vom Berufsgericht für Architekten in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, gegen Abschnitt 1 Ziffer 3 der Berufsordnung (BGO) und gegen Abschnitt 1 Ziffer 1 Satz 2 BGO verstoßen.
Gleichwohl sei der Beschuldigte freizusprechen, da eine Verurteilung durch die Berufsgerichtsbarkeit gegen das Verbot der Doppelbestrafung nach Artikel 103 Abs. 3 Grundgesetz verstoße.
Zwar könne eine Handlung sowohl ein Strafgesetz als auch die Berufspflichten verletzen. Trotz einer strafgerichtlichen Verurteilung könne es geboten sein, durch die Auferlegung einer Geldbuße im berufsgerichtlichen Verfahren die besondere Missbilligung wegen der Verletzung der Berufspflicht zum Ausdruck zu bringen und mit dieser Reaktion einer Minderung des Ansehens des Architektenberufs entgegenzuwirken. Artikel 103 Abs. 3 Grundgesetz stehe daher einer berufsgerichtlichen Verurteilung zu einer Geldbuße trotz vorausgegangener strafrechtlicher Verurteilung nicht grundsätzlich entgegen. Neben einer strafrechtlichen Verurteilung käme eine berufsrechtliche Sanktion allerdings nur dann in Betracht, wenn ein besonderer berufsrechtlicher Überhang bestünde, wenn also der berufsrechtliche Unrechts- und Schuldgehalt der Tat eine zusätzliche berufsrechtliche Reaktion erfordere, um eine hinreichende erzieherische Wirkung auf den betroffenen Berufsträger auszuüben.
Ob der besondere Grund und Zweck der Berufsgerichtsbarkeit durch eine strafgerichtliche Verurteilung schon erfüllt gewesen sei oder ob ein berufsgerichtlicher Überhang bestehe, sei eine Frage des Einzelfalls. Vorliegend bestünde nach der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschuldigten noch ein berufsrechtlicher Überhang. Die in der Verurteilung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe liegende allgemeine Missbilligung der durch den Beschuldigten begangenen Vermögensdelikte erfasse die Verletzung der besonderen Berufspflichten der Architekten nicht vollständig. Mit einer berufsgerichtlichen Reaktion wäre der Minderung des Ansehens des Architektenberufs neben der strafgerichtlichen Verurteilung entgegenzuwirken.
Allerdings sei der Beschuldigte nicht nur strafgerichtlich verurteilt worden. Vielmehr sei ein Löschungsverfahren nach § 7 baden-württembergisches Architektengesetz durchgeführt worden. Der Eintragungsausschuss der
Architektenkammer Baden-Württemberg habe die Löschung der Eintragung des Beschuldigten in der Architektenliste beschlossen. Diese Entscheidung sei, nachdem das Verwaltungsgericht die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage des Beschuldigten rechtskräftig abgewiesen habe, bestandskräftig geworden. Daraufhin sei die Eintragung des Beschuldigten in der Architektenliste gelöscht worden. Grundlage der Löschung seien unter anderem die Straftaten gewesen, wegen derer der Beschuldigte strafrechtlich verurteilt wurde und die nunmehr Gegenstand des berufsgerichtlichen Verfahrens seien. Mit der Löschung der Eintragung des Beschuldigten in der Architektenliste seien diejenige Maßnahme vollzogen worden, die nach § 19 Satz 1 Nr. 4 baden-württembergisches Architektengesetz die schärfste berufsgerichtliche Maßnahme seien.
Der verfassungsrechtliche Grundsatz des "ne bis in idem" enthalte über seinen strafrechtlichen Kernbereich hinaus, eine Verkörperung des für jeden Rechtsstaat unabdingbaren Prinzips der Rechtskraft. Nach rechtskräftiger Abweisung der verwaltungsgerichtlichen Klage des Beschuldigten gegen die Entscheidung des Eintragungsausschusses sei die administrative Entscheidung der Löschung bestandskräftig und umgesetzt geworden. Die Löschungsentscheidung nach § 7 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 baden-württembergisches Architektengesetz beinhalte die Feststellung der mangelnden Eignung des Beschuldigten zur Erfüllung seiner Berufsaufgaben wegen der von ihm begangenen Straftaten. Damit sei durch die Löschung der Eintragung die besondere Missbilligung wegen der Verletzung der Berufspflichten zum Ausdruck gebracht worden. Eine berufsgerichtliche Verurteilung wegen derselben berufswidrigen Handlungen verstieße gegen den genannten Grundsatz des "ne bis in idem".
Der Umstand, dass der Beschuldigte nur wenige Monate nach der Löschung auf seinen neuerlichen Antrag hin wieder in die Architektenliste eingetragen wurde, ändere nichts an dem Umstand, dass er aufgrund einer Entscheidung des Eintragungsausschusses zu löschen war und gelöscht wurde. Diese Maßnahme hindere die Verhängung einer berufsgerichtlichen Verurteilung. Der Beschuldigte sei daher freizusprechen.
Ist also nach einer strafrechtlichen Verurteilung eines Architekten dessen Eintragung in der Architektenliste durch Entscheidung des Eintragungsausschusses der Architektenkammer gelöscht worden, so ist eine Verurteilung des Architekten wegen derselben Handlungen durch die Berufsgerichtsbarkeit nicht möglich. Eine Verurteilung wegen berufswidrigen Verhaltens verstößt dann gegen das grundgesetzlich normierte Verbot der Doppelbestrafung. Dies gilt auch dann, wenn der Architekt aufgrund eines neuen Antrags im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufsgerichts wieder in die Architektenliste eingetragen war.